72. Jahrestag der DDR-Gründung

Es ist erstaunlich, dass die DDR, die doch seit vielen Jahren nicht mehr existiert, noch so viele hasserfüllte Gegner hat, die bei jeder Gelegenheit reflexartig ihre ideologiegetränkten Parolen absondern. Das Ziel einer systemkonformen Umerziehung der Ostdeutschen wurde in den vergangenen Jahren anscheinend verfehlt. Anders ist die fortwährende Aufregung der politischen Klasse dieses Landes über die längst im Orkus der Geschichte versunkene DDR kaum zu erklären.

Mit jeder politischen Fehlleistung der hiesigen politischen Elite, mit jeder machtpolitisch motivierten Einschränkung von Freiheitsrechten der Bürger, mit jeder Einflussnahme der Politik auf die Medienberichterstattung und mit jedem Zuwachs an sozialer Ungleichheit erscheint die DDR im Rückblick in milderem Licht. Vor allem ist dieser Staat der unmittelbare Beleg, dass gesellschaftspolitische Alternativen prinzipiell möglich sind.

Die Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 war die folgerichtige politische Reaktion auf die von den alten deutschen Eliten und den West-Alliierten betriebene Teilung Deutschlands. Alle Bestrebungen zum Erhalt eines einheitlichen und demokratischen deutschen Nationalstaates waren vom Westen aus geopolitischem Kalkül torpediert worden. Die Restauration der traditionellen Herrschaftsstrukturen im Westen sollte um jeden Preis machtpolitisch abgesichert werden. Schon damals verkauften konservative westdeutsche Entscheidungsträger diesen Weg in der Öffentlichkeit als scheinbar alternativlos. Und schon damals wurden Unsicherheiten und Ängste der Menschen von den Herrschenden im Westen Deutschlands schamlos propagandistisch instrumentalisiert.

Der beginnende Kalte Krieg zwischen den Westmächten und der UdSSR war der politische Rahmen für die von vielen Deutschen als nationale Tragödie empfundene Teilung ihres Landes. Sowohl die Bundesrepublik als auch die DDR waren in den folgenden Jahrzehnten teilsouveräne Staaten, die in die politischen und militärischen Strukturen der sich feindlich gegenüberstehenden Machtblöcke eingebunden wurden. Und die Eliten der Bundesrepublik mochten sich nicht damit abfinden, dass sich im Osten Deutschlands eine gesellschaftspolitische Alternative zu dem durch den Zweiten Weltkrieg diskreditierten kapitalistischen deutschen Staat entwickelte. Embargos und die Zerstörung gewachsener arbeitsteiliger Beziehungen, die Nutzung finanzpolitischer Instrumente zur Schädigung der DDR-Wirtschaft, massenhafte geheimdienstliche Agententätigkeit gegen die DDR, flächendeckende Sabotageakte, die gezielte Abwerbung von Fachkräften und die permanente Nutzung der westlichen Medien als Mittel zur Diskreditierung des ostdeutschen Staates waren wie die Aufrüstung der Bundesrepublik und der Alleinvertretungsanspruch der Bonner Regierung Teil eines Konzeptes, das man heute als hybriden Krieg bezeichnen würde. Die DDR hat dem über viele Jahre widerstehen können, was ohne die Akzeptanz einer Bevölkerungsmehrheit nicht möglich gewesen wäre.

Zugleich musste der ostdeutsche Staat bis Ende 1953 enorme Reparationszahlungen für die durch deutsche Truppen in der Sowjetunion angerichteten Verheerungen aufbringen, während die Bundesrepublik, die als Rechtsnachfolgerin des III. Reiches agierte, mit Krediten aus dem Marshall-Plan ihre Wirtschaft sanierte.

Dass die DDR unter diesen Umständen viele Kriegs- und Nachkriegsschäden beseitigen, neue Industrien aufbauen und bis in die frühen 60er Jahre eine bis dahin in Deutschland nie gekannte Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung realisieren konnte, ist eine große historische Leistung der Menschen, die mit ihrem Engagement diesen Staat trugen. Die DDR hat trotz der vielen äußeren Destabilisierungsversuche eine moderne, sozial gerechte Bildungs- und Gleichstellungspolitik praktiziert. Sie hat strukturelle soziale Ungleichheiten abgebaut und vor allem in den Anfangsjahren Kindern und Jugendlichen aus bislang unterprivilegierten sozialen Schichten den Zugang zu Bildungs- und Karrierechancen ermöglicht. Und sie hat – ungeachtet vieler alltagskultureller Widerstände – ein modernes Frauenbild propagiert und strukturell verankert, das den damaligen Zuständen in der Bundesrepublik um viele Jahre voraus war. Die DDR bot vielen ihrer Bürger lange Zeit attraktive Lebenschancen, was im Rückblick gerne vergessen wird. Bis Mitte der 70er Jahre war dieser Staat auch in der Lage, seinen Bürgern einen bescheidenen, aber kontinuierlichen Wohlstandsfortschritt zu ermöglichen. Die DDR war von ihren Bürgern zu dieser Zeit mehrheitlich akzeptiert – das zeigen viele repräsentative empirische Erhebungen aus den 70ern.

Und dieser Staat hat mit seinen modern ausgerüsteten und ausgebildeten Streitkräften innerhalb der Warschauer Vertragsorganisation einen wichtigen Beitrag zum Erhalt des strategischen Gleichgewichts zwischen den Militärblöcken und damit zur Sicherung des Weltfriedens geleistet. Die Bürger der DDR haben das mit ihrer Leistungsbereitschaft ökonomisch möglich gemacht. Und die Soldaten der NVA haben in dieser Zeit der permanenten militärischen Konfrontation trotz oftmals widriger Umstände ihre patriotische Pflicht erfüllt.

Strukturelle Verkrustungen des politischen Systems, der Verlust wirtschaftlicher Dynamik infolge des technologischen Wandels, westlicher Embargos und mangelnder Effizienz der Arbeitsteilung im RGW sowie daraus resultierende wachsende Defizite in der Lebensqualität der Bürger führten schließlich zur Entfremdung eines Teils der Bevölkerung von diesem Staat. Und die durch die ökonomischen Belastungen des Kalten Kriegs ausgezehrte UdSSR hatte keine Kraft und keinen politischen Willen mehr, die DDR, die ihr Geschöpf und ihr treuester Verbündeter war, zu stabilisieren. So wurde dieser Staat 40 Jahre nach seiner Gründung zur Verhandlungsmasse einer von Illusionen geprägten sowjetischen Außenpolitik, die in den faktischen Verrat an der DDR und ihren Streitkräften mündete.

Doch die DDR ist keineswegs eine „Fußnote der Geschichte“, wie manche Protagonisten der politisch korrekten Erinnerungskultur in Stiftungen, Parlamenten und Medien das gerne hätten. Die DDR hat im Bildungsbereich und in der medizinischen Versorgung Strukturen geschaffen, die zwar nach 1990 aus ideologischer Borniertheit zunächst leichtfertig geschliffen wurden, die jedoch nun unter anderen Bezeichnungen vielfach wieder etabliert werden, weil sie sinnvoll und effektiv sind.

Die DDR hat Bürger hervorgebracht, die politisch wach und kritisch im Urteil sind. Die Ostdeutschen haben erlebt, wie es ist, wenn eine in Selbstgerechtigkeit gefangene politische Elite den Bezug zur Lebenswirklichkeit der Menschen verliert. Diese Erfahrung prägt Einschätzungen des Agierens von Parteien und Politikern durch die Bürger im Osten bis heute.

Die DDR hat eine spezifisch ostdeutsche Alltagskultur hervorgebracht, die auf Empathie, Gemeinschaft, sozialen Ausgleich, Solidarität und Bodenständigkeit setzt – Tugenden, die angesichts aktueller ökonomischer Unsicherheiten, medizinischer und ökologischer Risiken sowie sozialstruktureller Verwerfungen infolge der Globalisierung immer wichtiger werden. Der unaufgeregte Pragmatismus und das Improvisationstalent vieler Ostdeutscher, das Gespür für herannahende soziale Umbrüche, die Erfahrung der Endlichkeit und Fragilität scheinbar ewiger, festgefügter Strukturen sind unbestreitbare Vorteile in einer im Wandel begriffenen Gesellschaft.

Immer mehr Ostdeutsche auch der jüngeren Generation nehmen dieses Erbe der DDR-Sozialisation selbstbewusst an. Was in den frühen 90ern in den Medien mit durchsichtiger politischer Absicht als scheinbar selbstverschuldeter Makel dargestellt wurde, wird für immer mehr Menschen im Osten zum akzeptierten Teil einer besonderen Identität. So ist der mit viel Steuergeld geförderte Versuch der Auslöschung der DDR aus dem kollektiven Bewusstsein der Ostdeutschen gründlich gescheitert.

Präsidium

 

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