Zukunftskonzepte für das deutsche Heer

Quelle: Collage tvnva, Archiv

 

Seit einiger Zeit erscheinen in diversen militärpolitischen Fachmedien Beiträge, in denen die Autoren intensiv über den technologischen Wandel im Wehrtechniksegment und die daraus erwachsenden Herausforderungen für die Gefechtsführung von Heereseinheiten diskutieren. Diese Publikationen sind in der Regel Reflex entsprechender Überlegungen in Planungs- und Führungsstrukturen der Bundeswehr. Was in diesem Zusammenhang z.B. unter dem Stichwort „Hyperwar“ präsentiert wird, ist indes nicht nur eine Antizipation zukünftiger taktischer Einsatzkonzepte, sondern hätte auch Konsequenzen für militärische Entscheidungsprozesse auf operativer und strategischer Ebene. Es geht bei diesen konzeptionellen Überlegungen letztlich um Szenarios zukünftiger Kriege in Europa, mithin um die Chancen der NATO, sich in einem konventionellen Konflikt gegen einen „militärisch gleichwertigen“ Gegner durchzusetzen.

Das Mittel der Wahl ist dabei der massive Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI). Drohnen und bodengestützte Roboter sollen in Schwärmen vernetzt werden. So sollen in einem künftigen Krieg spezialisierte, interagierende Automaten den Gegner attackieren. Aufklärungsdrohnen, Drohnen zur Abwehr gegnerischer Drohnen, Kommunikationsdrohnen und Angriffsdrohnen werden vernetzt und können in mehreren kurz aufeinanderfolgenden Wellen in das Gefecht geführt werden. Dabei können die Schwärme ihre Einsatztaktik an veränderte Lagen auf dem Gefechtsfeld anpassen. „Hyperwar kombiniert die klassische Gefechtsführung mit Cyber-Angriffen und Angriffen durch große Mengen (teil-)autonom gesteuerter Systeme.“ Daraus resultiert nach Meinung von Bundewehrexperten zwar keine grundsätzliche Veränderung der Struktur von Gefechten, doch die Dynamik der Kampfhandlungen wird sich völlig anders als in bisherigen Kriegen entwickeln. Die Aufklärung und Bewertung gegnerischer Kräfte und Mittel, die Entscheidungsfindung, Zielauswahl, -markierung und Zielbekämpfung würden extrem beschleunigt und die Vernichtungseffektivität damit erhöht. Gefechtshandlungen würden zudem weiträumiger geführt werden. „Truppenführer, die im Gefecht einer solchen Situation ausgesetzt sind, müssen unmittelbare, entweder intuitive oder KI-gestützte Entscheidungen treffen.“ Die Strategen setzen auf den Zeitfaktor im Gefecht – mit dem Ziel, die Initiative an sich zu reißen. Diese Überlegungen haben mehr als nur taktische Bedeutung – sie sind die Blaupause für einen mit teilautonomen Kampfmitteln geführten und extrem beschleunigten Bewegungskrieg. „Die moderne Gefechtsführung ist...ein zunehmend zeitkritischer Prozess. Wer ständig schneller ist als sein Gegner, wird das Gefecht beherrschen und letztendlich gewinnen.“ Dabei wird einkalkuliert, dass solche teilautonomen Drohnenschwärme auch gegen kritische Infrastrukturen (Energie- und Wasserversorgung, IT-Systeme) des Gegners eingesetzt werden könnten. Das Ergebnis wäre eine weitere Entgrenzung des Krieges.

An entsprechenden Projekten zur Sicherung der „Schwarmfähigkeit“ automatisierter Drohnen und Roboter arbeiten derzeit etliche Rüstungsunternehmen. Während man bei luftgestützten Systemen bereits gut vorangekommen ist, gibt es bei der Entwicklung sogenannter bodenbasierter Plattformen vor allem mit der „Navigation in durchschnittenem Gelände und in komplexen urbanen Räumen“ noch erhebliche Probleme. Hier rechnet man mit brauchbaren Lösungen in etwa 10 bis 15 Jahren.

Derzeit wird auch an der Weiterentwicklung bestehender Kampftechnik zu teilautonomen Systemen gearbeitet. Durch die Automatisierung der Sensorik für die Zielauswahl und den Feuerkampf soll der Kampfwert bereits im Truppendienst stehender Kampfpanzer, Schützenpanzer, Artilleriesysteme und Hubschrauber erhöht werden. Mittelfristig sollen bemannte Führungsfahrzeuge – vernetzt mit spezialisierten Robotern – im Gefecht eingesetzt werden. Künftig könnten so etwa teilautonome Drohnenschwärme gegen Kampfpanzer in das Gefecht geführt werden. Sogenannte Kamikaze-Drohnen mit Kontaktsprengmitteln würden den passiven Schutz der Panzer eliminieren, andere die aktiven Schutzsysteme neutralisieren, um schließlich Drohnen mit Panzerabwehrwaffen Angriffsmöglichkeiten zu schaffen. Solche Schwärme könnten in mehreren Wellen angreifen und die gegnerischen Abwehrmöglichkeiten überfordern. Drohnenschwärme seien außerdem kostengünstiger als die Beschaffung klassischer Kampfpanzer.

Voraussetzung für die Umsetzung solcher Überlegungen ist allerdings, dass die Logistik für den Einsatz teilautonomer Systeme unter Gefechtsbedingungen sichergestellt werden kann. Die Energieversorgung und die Sicherung der Einsatzsteuerung müssten auch unter Einwirkung durch den Gegner funktionieren. Und hier sind erhebliche Zweifel angebracht. Denn ein solcher „militärisch gleichwertiger“ Gegner wird der am grünen Tisch entworfenen Regie der Bundeswehrplaner kaum folgen. Ein militärisch gleichwertiger Gegner wird ähnliche technische Möglichkeiten wie die NATO haben und er wird Mittel und Wege finden, die KI-Technik eines Angreifers durch Maßnahmen der elektronischen Kampfführung auszuschalten. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass alle derzeit in Entwicklung und Erprobung stehenden Funktionsmuster (teil-)autonomer Drohnen oder Kampfroboter von satellitengestützten Navigationssystemen abhängig sind. Ein technologisch potenter Gegner wird also im Kriegsfall nicht nur die bodengestützten IT-Ressourcen der NATO-Kräfte zur Gefechtsführung blockieren, sondern die Navigations- und Aufklärungssatelliten des Aggressors zerstören. Damit wäre ein Angreifer blind, taub und handlungsunfähig. Die realistische Einschätzung der militärtechnologischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten potentieller Kriegsgegner war indes noch nie eine Stärke deutscher Strategen.

 

Quellen:

Doll, T., Beyer, U., Schiller, T.: Hyperwar. Neue Herausforderungen für die Heeresentwicklung. In: Europäische Sicherheit & Technik. 09/2019, S. 78ff

Frank, D.: Die Drohnenschwärme künftiger Gefechte. Hardthöhen-Kurier. 01/2020, S 94ff

von Redaktion (Kommentare: 0)

Zurück

Einen Kommentar schreiben