Der Krieg im Osten

Friedrich Ritterfeldt

In der Wahl der Gewaltmittel zeigt sich die Interimsregierung wenig zimperlich: So ziehen die ukrainischen Truppen immer mehr taktische Raketenkomplexe des Typs Totschka-U und Mehrfachraketenwerfer der Typen Smertsch und Uragan bei Donezk zusammen. Man will wohl die Großstadt sturmreif schießen. Es ist erkennbar ein konventioneller Krieg gegen einen technisch und zahlenmäßig unterlegenen Gegner. Doch offenbar hat man diesen Gegner nicht nur unterschätzt, sondern auch nicht begriffen, worin die politischen Ursachen des Konfliktes liegen und dass das rücksichtslose Vorgehen vor allem der Nationalgarde gegen die eigene Bevölkerung die Donezker Volksbefreiungsarmee stärkt. Jedenfalls haben sich alle bisherigen Erfolgsmeldungen und Prognosen der Kiewer Strategen als wenig belastbar erwiesen. Kriege entwickeln eine schwer beherrschbare Eigendynamik, die strategische und operativ-taktische Konzepte schnell entwerten kann.

So wurde etwa der südliche Kessel im Raum Donezk-Saur Mogila durch Kräfte der Donezker Volksbefreiungsarmee geschlossen. Ein Teil der von Einschließung bedrohten ukrainischen Einheiten setzte sich nach Russland ab, andere kämpfen weiter, einzelne Truppenteile führen Kapitulationsverhandlungen mit Vertretern der Volksbefreiungsarmee. Eingeschlossen wurden dabei Einheiten der 72. Mechanisierten Brigade sowie der 79. und der 24. Luftlandebrigade. Auch die mit Kopfprämien zum Kampf motivierten Söldner der Bataillone ASOW und SCHACHTJORSK stecken im Kessel fest. Diese Einheiten der sogenannten Nationalgarde werden von ukrainischen Oligarchen finanziert. Doch Geld ist kein Ersatz für Kampfmoral und militärische Professionalität.

Mittlerweile haben allein im Verlauf dieser Kesselschlacht 438 ukrainische Militärangehörige nach Vernichtung ihrer Waffen und der Munition Schutz in Russland gesucht. 164 von ihnen sind ukrainische Grenzsoldaten.

In der Gemeinde Swetloje griffen Kämpfer der Volksbefreiungsarmee einen ukrainischen Blockadeposten an. 50 ukrainische Soldaten fielen im Verlauf allein dieses Gefechts für die Machtambitionen der Kiewer Führung.

Die Donezker Volksbefreiungsarmee trifft das ukrainische Militär immer öfter an empfindlichen Punkten. So wurden erneut zwei ukrainische Jagdbomber des Typs SU-25 abgeschossen. 25 Soldaten starben, als die Rebellen durch Artilleriebeschuss ein Phosphormunitionslager der ukrainischen Armee in der Nähe von Lugansk vernichteten. Im Gebiet der Siedlung Tonenkoje gerieten zwei ukrainische Schützenpanzer BMP in einen Hinterhalt und wurden vernichtet. Eine nicht bekannte Anzahl ukrainischer Soldaten wurde getötet, Funkgeräte und Stabsdokumente erbeutet

Und auch in der Region Lugansk müssen sich die ukrainischen Truppen auf ihre alten Positionen, die sie vor der Juli-Offensive gehalten hatten, zurückziehen. Man will dort die Regierungstruppen für einen neuen Angriff konzentrieren. Derweil zeichnet sich im Gebiet Amwrosiewka eine weitere Einschließung ukrainischer Kräfte ab.

Die ukrainische Armee ist im Begriff, sich wegen der politischen Borniertheit der Regierung in einem asymmetrischen Krieg zu verschleißen. Sie kann ihn trotz großer militärtechnischer und quantitativer Überlegenheit offenbar nicht gewinnen, während es für den professionell agierenden schwächeren Gegner schon ein Erfolg ist, wenn er nicht geschlagen wird. Und wenn irgendwann die Waffen schweigen, wird das Land zerstört und politisch zerrissen sein. Bisher flüchteten 730.000 Ukrainer auf das Territorium der Russischen Föderation. Ukrainische Soldatenmütter und -frauen protestieren in den Städten Shitomir, Odessa, Charkow, Rowno und Kiew gegen die Einberufungen ihrer Männer zum Militär.

Je länger dieser Krieg dauert, desto größer sind die internationalen Auswirkungen. Auch das ist Teil der Eigendynamik eines solchen Konfliktes. Die USA stocken ihre Waffenlager in Mittelnorwegen auf. Zusätzliche Kampfpanzer M1A1, Schützenpanzer und andere Gefechtstechnik sollen im Verlauf dieser Woche vom US-Transportschiff PFC Dewayne T. Williams in Norwegen angelandet werden. Anknüpfend an Operationen aus der Zeit des Kalten Krieges führte die US-Luftwaffe seit April 2014 über 50 Aufklärungsflüge entlang der russischen Grenze über der Ostsee durch. So will man das russische Luftverteidigungssystem aktivieren und ausspähen. Auch militärische Objekte der russischen Streitkräfte im Gebiet Kaliningrad sind für die NATO von Interesse. Doch diese militärischen Muskelspiele des Westens haben schon im Verlauf der Krimkrise nicht die gewünschten Effekte gehabt. Russlands Führung blockte solche Provokationen ab und ließ sich in ihren politischen Entscheidungen nicht beeinflussen.

Und während vor allem durch den Krieg im Osten eine massive Destabilisierung der internationalen Beziehungen stattfindet, diskutiert Deutschland über die Vereinbarkeit der Pkw-Maut mit europäischem Recht. In den Medien findet der Ukraine-Krieg kaum noch statt – wohl, weil er nicht wie erwartet verläuft. Und der Bundeswirtschaftsminister schwingt sich moralisierend zu medial wirksamer Symbolpolitik auf, indem er bestehende und beinahe abgearbeitete Verträge zur Lieferung von Gefechtsausbildungstechnik an die russische Armee aufkündigt. Es ist zu hoffen, dass der Minister mit SPD-Parteibuch seine Position auch beibehält, wenn es wieder einmal um die Lieferung von Leopard-Panzern an Saudi-Arabien oder von U-Booten an Israel geht.

Zweifelsohne wird die neue Ost-West-Konfrontation Konsequenzen für den Ausbau und die Modernisierung der russischen Streitkräfte haben. Russland wird die entsprechenden Programme beschleunigen und die Umstrukturierung der Streitkräfte vorantreiben. Denn die aktuelle Veränderung der geopolitischen Lage wird die russische Führung in der Auffassung bestärken, dass das Land militärisch handlungsfähig sein muss, wenn man amerikanischen Politikern die Risiken ihrer Machtpolitik verdeutlichen will.

Die aktuelle Sanktionspolitik des Westens bestätigt zudem im Nachhinein, dass die Grundsatzentscheidung gegen massenhafte Importe und Lizenzproduktionen west-licher Waffentechnik richtig war.

 

von Internetredaktion (Kommentare: 0)

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