Warum Putin seine Meinung zur Anerkennung der Donbass-Republiken änderte

Am 7. Februar traf der französische Präsident Emmanuel Macron zu einem dringenden Besuch in Moskau ein. Schon damals rumorte es bedrohlich an der russisch-ukrainischen Grenze. Aber auch auf diplomatischer Ebene. Die russische Staatsduma hatte bereits einen von der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation vorbereiteten Appell an den Präsidenten entgegengenommen, in dem gefordert wurde, dass Moskau die Volksrepubliken im Donbass, die ständigen Angriffen aus Kiew ausgesetzt waren, so schnell wie möglich anerkennt.

Das offizielle Paris berichtete später, Putin habe Macron bei den Gesprächen angeblich versichert, dass die Initiative der kommunistischen Abgeordneten in keinem Fall berücksichtigt werde. Was wiederum vom Pressesprecher des Präsidenten der Russischen Föderation, Dmitri Peskow, sofort dementiert wurde. Er versicherte der Öffentlichkeit, dass Putins Äusserungen von französischer Seite verzerrt wiedergegeben wurden. Und als Beweis führte er Auszüge aus dem Protokoll des Gesprächs zwischen den beiden Präsidenten an.

Laut diesem Dokument, aus dem Peskow zitierte, verlief das Gespräch so: Macron sagte, dass er besorgt sei über die wahrscheinliche Anerkennung der Separatisten vor dem Hintergrund des bei der Staatsduma eingereichten Gesetzentwurfs. „Was willst du mit diesem Entwurf machen? Kann das zurückgehalten werden?“, fragte er Putin. Worauf der russische Präsident fast lässig mit der Hand winkte: „Es gibt keinen Entwurf! Es gibt nur eine Initiative einer bestimmten Oppositionspartei und die wird nicht von der wichtigsten Regierungspartei „Einiges Russland“ unterstützt.“ Aus dem Kontext dieser Niederschrift geht hervor, dass am 7. Februar 2022 von einer Anerkennung der Donbass-Republiken durch den russischen Präsidenten keine Rede war. Außerdem machte er Macron klar, dass er bereit sei, den Appell der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation zumindest jetzt in den Müll zu werfen. Wenn er es für notwendig hält, tut er das mit jedem Dokument, das die formelle Billigung der Partei  „Einiges Russland“ nicht erhalten hat.

Und plötzlich? Die Initiative der Oppositionspartei wurde anscheinend zum ersten Mal in einer so ernsten politischen Frage plötzlich zu einer Handlungsempfehlung für den Kreml! Und höchstwahrscheinlich bestimmt sie das Schicksal Russlands in den kommenden Jahren weitgehend. Was hat Putins Meinung über den Donbass verändert? Was hat es wahrscheinlich gemacht, dass Russland in die Schützengräben geschickt wird und gesagt wird, dass das Vaterland ruft? Verstärkter Beschuss der Gebiete der Donbass-Republiken? Aber das geschieht, mit unterschiedlicher Intensität, nicht erst seit gestern. Ist es das Vollpumpen der Ukraine mit den modernsten Waffen? Das ist zwar ein neues Element in der politischen Lage, aber seit spätestens dem Krisenjahr 2014 findet, wenn auch nicht in diesem Ausmaß, eine Aufrüstung der Streitkräfte der Ukraine durch den Westen statt. Auf jeden Fall werden die berüchtigten „Javelins“ und österreichischen Scharfschützengewehre schon seit mehr als einem Jahr von ukrainischen Soldaten in der Nähe der Kontaktlinie benutzt.

Es muss innerhalb weniger Tage, seit dem Treffen mit Macron, noch etwas anderes passiert sein, das Putins Position veränderte. Schaut man sich die Informationen der Nachrichtenagenturen an, scheint das einzige Thema auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Ukraine und die Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij am 19. Februar gewesen zu sein.

Der hochrangige Gast aus Kiew sagte in einer sehr emotionalen Rede, dass „die Krim und die besetzten Gebiete des Donbass nur auf friedlichem Wege in die Ukraine zurückkehren werden“. Er forderte jedoch sofort die Schaffung eines Lend-Lease-Programms für die Ukraine zur beschleunigten Wiederaufrüstung der Streitkräfte der Ukraine auf Kosten des Westens. Vorbild war wohl das Lend-Lease-Gesetz, das am 18. Februar 1941 vom US-Kongress verabschiedet wurde, um Kriegsmaterial an die Länder liefern zu können, die gegen die Achsenmächte kämpften. Und dann drohte er, dass Kiew unter den jetzigen Bedingungen wohl versuchen werde, zusätzlich den Status einer Atommacht wiederzuerlangen und dass das Land aus dem Budapester Memorandum von 1994 austreten werde. Keiner der hohen Diplomaten und Kriegsexperten auf der Münchner Konferenz war wegen  dieser Worte Selenskijs besorgt oder widersprach ihm.

Diese Aussage konnte man nicht einfach ignorieren. Schon 2014 wurden vom Westen ukrainische Ambitionen zur nuklearen Bewaffnung ignoriert. Weder Moskau noch der Rest der Welt nahmen das damals ernst und schrieben es der entflammten Fantasie der faschistischen Radikalen im Nachbarland zu. Aber heute entscheiden in der Ukraine nicht mehr solche Freaks.

In München wurde zum ersten Mal eine solche Drohung vom legitimen Oberhaupt der Ukraine vor aller Welt  ausgesprochen. Er sagte das nicht leise, so dass die hohen Politiker des Westens, die im Saal saßen, ihn nicht hätten verstehen können. Doch es gab keinen Gegenrede, keinen Verweis auf die mit einem solchen Vorhaben verbundenen Sicherheitsrisiken auch für den Westen.

Putin konnte nicht so gleichgültig sein. Denn es ist allen klar, dass das Ziel jeder Waffe in der heutigen Ukraine Russland sein wird. Wahrscheinlich hat er noch vor der Montagssitzung des russischen Sicherheitsrates zu diesem Thema mit Verteidigungsminister Sergej Schoigu gesprochen und von ihm erschreckende analytische Informationen des Verteidigungsministeriums über die technischen Fähigkeiten erhalten, die der Ukraine in diesem Bereich noch zur Verfügung stehen. Auf jeden Fall sprach Schoigu im Sicherheitsrat öffentlich über eine hypothetische ukrainische Atombombe wie folgt: „Kiew hat heute eindeutig die Voraussetzungen, eine solche zu bauen!“ Und weiter: „Ich möchte die Aufmerksamkeit der Mitglieder des Sicherheitsrates auf die Erklärung von Herrn Selenskij lenken, dass die Ukraine den Status einer nuklearen, ich will nicht sagen, Macht... eines nuklearen Landes annehmen und wiedererlangen möchte. Dies ist aus mehreren Gründen äusserst gefährlich. Erstens wurden dort in den langen Jahren der Sowjetmacht und der Zugehörigkeit zur UdSSR Möglichkeiten geschaffen, solche Waffen herzustellen. Und nicht nur Waffen, sondern auch ihre Trägermittel“, sagte der russische Verteidigungsminister.

Die gleiche Meinung vertreten russische Wissenschaftler. Jedes Land mit Kernkraftreaktoren hat theoretisch Zugang zu spaltbarem Material, insbesondere zu Plutonium, das in jedem der Kernreaktoren produziert wird, in der Ukraine sind es 14. Aber das ist nur die halbe Wahrheit, denn ein nuklearer Sprengsatz ist nicht nur eine Füllung, sondern ein ziemlich komplexes Gerät. Die Ukraine kann das schaffen, wenn sie will und sich anstrengt. Es ist klar, dass Kiew nicht in der Lage sein wird, schnell einen vollwertigen Atomsprengkopf zu bauen. Dafür braucht es nicht nur viel Geld, das Kiew nicht hat, sondern auch noch viele Jahre harter Arbeit. Gemessen an der Entwicklung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Situation in diesem Land kann das Selenskij-Regime das nicht.

Um aber etwas „Dreckiges“ zusammen zu nieten und es mit Hilfe der Luftwaffe oder der verbliebenen sowjetischen taktischen ballistischen Raketen vom Typ „Totschka-U“ irgendwo in die Nähe von Rostow am Don, Belgorod oder Woronesch mit dem Ziel einer jahrzehntelangen flächendeckenden radioaktiven Verseuchung des Gebietes abzuwerfen, reichen die ukrainischen Fähigkeiten und Mittel. Dafür hat Selenskij schon jetzt einiges auf Lager. Zum Beispiel eine große Lagerstätte mit Uranerz. Oder das Chemiewerk „Prydniprovsky“, das seit den Zeiten der UdSSR das einzige Atomkreislaufunternehmen in der Ukraine ist. Die Firma stellte zum Beispiel Ionenaustauscherharze her. Und das sind bereits Fragmente der Technologie zur Trennung von waffenfähigem Plutonium. Mit einem Wort, es ist kein besonderer Verstand erforderlich, um schnell einen Behälter mit hochradioaktiven Elementen und mit einem primitiven Sprengsatz und einem Sprengkopf zu kombinieren. Es ist durchaus möglich, dass am Vorabend des letzten Montags ein Bericht darüber auf Putins Schreibtisch gelegt wurde.

Aber das ist alles nicht das Problem. Viel mehr erschreckt, dass keiner der Politiker der westlichen Welt in München gegen diese Meinung Selenskijs aufgetreten ist. Das scheint der Kern zu sein, der Putin so erboste und ihn veranlasste, seine Meinung über die diplomatische Anerkennung der Donbass-Republiken zu ändern.

 

(Quelle: Ischenko, S., Swobodnaja Pressa, 22.02.22, redaktionell bearbeitete Übersetzung)

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