Rezension: Offiziershochschule der Landstreitkräfte „Ernst Thälmann“ – Ein historischer Abriss (1963-1990)

Die DDR war ein Produkt der Auseinandersetzung zwischen der UdSSR und den USA. Sie hat sich im Rahmen der Warschauer Vertragsorganisation den damit verbundenen Verpflichtungen gestellt und wachsende ökonomische und militärische Beiträge für die Bündnissicherheit erbracht. Das Ergebnis war eine hochmodern ausgerüstete, gut ausgebildete Streitmacht, die ihre primäre Aufgabe in der wirksamen militärischen Abschreckung eines potentiellen Angreifers sah. Diese Mission hat die NVA mit hoher Professionalität erfüllt. Den Landstreitkräften der NVA kam mit Blick auf die Abwehr eines möglichen Angriffs der NATO eine besondere Funktion zu: Im Bestand der im Kriegsfall aus der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland zu formierenden Westfront sollten zwei NVA-Feldarmeen dem Gegner Paroli bieten. In der ersten strategischen Staffel des östlichen Verteidigungsbündnisses kam den operativen Verbänden, den Truppenteilen und Einheiten der NVA somit eine besondere Verantwortung zu. Die damit verbundenen militärischen Aufgaben waren nur zu erfüllen, wenn die Truppe über ein hochmotiviertes und gut ausgebildetes Führerkorps verfügte. Mit der zunehmenden Integration der Armee in die Vereinten Streitkräfte erhöhten sich Anfang der 60er Jahre auch die Anforderungen an die Ausbildung zukünftiger Offiziere. So wurde die Ende 1963 gegründete Offiziersschule der Landstreitkräfte im sächsischen Löbau zur zentralen Lehreinrichtung für die Heranbildung des Offiziersnachwuchses dieser Teilstreitkraft.

Ehemalige Lehrkräfte und Kommandeure unternahmen bereits im Jahr 2009 den begrüßenswerten Versuch, dem militärisch interessierten Leser ein fachlich fundiertes Bild über die Entwicklung der Schule zu vermitteln. Der Verlag hat wegen der starken Nachfrage nun eine überarbeitete Neuauflage des Buches auf den Weg gebracht. Die vorliegende Publikation bietet einen sachlichen, detailgetreuen Einblick in die Entwicklung von Strukturen und Aufgabenstellungen der Hochschule. Von besonderem Interesse dürfte im Rückblick die Vielfalt der Ausbildungsprofile und Verwendungsrichtungen des Offiziers- und Fähnrichnachwuchses der NVA-Land-streitkräfte sein. Die Anpassung der Lehrprogramme an neue militärtechnische Möglichkeiten, operativ-taktische Konzepte und gesellschaftliche Rahmenbedingun-gen war ein oft nicht einfacher Prozess, der Anfang der 80er in die Hochschulaus-bildung mit Diplomstudiengängen für die angehenden Offiziere mündete. Auch die Ausbildung vietnamesischer Militärspezialisten, die Fachschulausbildung der Fähnriche, die Heranbildung von Offizieren auf Zeit und das Studium weiblicher Offiziersanwärter waren spezifische Aufgaben, die von Führungs- und Lehrkräften der Hochschule bewältigt werden mussten. Wer die Offiziershochschule aus eigenem Erleben kennt, wird in dem vorliegenden Buch viele Fakten finden, die als Teil des eigenen Lebensweges in Erinnerung sind.

Verdienstvoll ist, dass die Autoren nicht nur den Dienstalltag bis 1989, sondern auch die Zeit bis zur „Abwicklung“ der Hochschule kritisch reflektieren. So heißt es z.B. im Abschlusskapitel des Buches: „Das turbulente gesellschaftspolitische Dahinsiechen der Deutschen Demokratischen Republik führte im Herbst 1989 auch an der Lehreinrichtung zu einer mentalen Zäsur. Die Forderungen auf der Straße nach Freiheit und Demokratie sowie die Konzeptionslosigkeit und das Schweigen der politischen Führungsspitze zogen Unsicherheit und Lähmung nach sich.“ Die im Wendeherbst 89 befohlene Militärreform sei von Arbeitsgruppen der Hochschule mit Vorschlägen begleitet worden. „Diese Bemühungen um progressive Veränderungen in militärischen Grundsatzdokumenten, Hochschulstrukturen, Lehre und Forschung sowie Dienst- und Lebensbedingungen blieben ungehört. Die Ergebnisse der Volkskammerwahlen im März 1990 und die Umorganisation des Ministeriums für Nationale Verteidigung mit Herrn Eppelmann an der Spitze offenbarten das westdeutsche Diktat nach Auflösung der Nationalen Volksarmee immer deutlicher. Die Vorgesetzten aller Ebenen vermochten nicht mehr, glaubwürdige Antworten hinsichtlich der Zukunft der Offiziershochschule zu geben.“ Alle Versuche, die Hochschule als eigenständige Fachhochschule mit neuen Strukturen und Zielstellungen in die sächsische Hochschullandschaft zu integrieren, waren – politisch gewollt – zum Scheitern verurteilt. Anknüpfend an die von Minister Eppelmann im Vorfeld des 3. Oktober 1990 per Befehl exekutierte Erosion des Personalbestandes der Hochschule sorgte die Bundeswehr schließlich bis Dezember 1992 für die Abwicklung der Lehreinrichtung.

Die vorliegende Publikation stemmt sich mit Fakten gegen durchsichtige Versuche, im Nachhinein die DDR und ihre Streitkräfte zu delegitimieren. Solange ehemalige Soldaten der NVA zu ihren Biografien stehen und ihre Lebenserfahrungen weitergeben, ist die Wirksamkeit solcher Bemühungen begrenzt. Nur wer seine Identität pflegt und Stolz zeigt, wird respektiert. Dazu leistet das Buch einen wichtigen Beitrag.

Offiziershochschule der Landstreitkräfte „Ernst Thälmann“ – Ein historischer Abriss (1963-1990). Verlag Graphische Werkstätten Zittau GmbH. Zittau 2009/2021

ISBN: 978-3-929744-34-7

288 Seiten, viele Fotos und Abbildungen

19,50 Euro

von Redaktion (Kommentare: 1)

Zurück

Einen Kommentar schreiben

Kommentar von Raimon Brete |

Liebe Genossinnen und Genossen,

herzlichen Dank für die Information zu dieser begrüßenswerten Publikation. Als Absolvent freue ich mich, dass auch zu diesem wichtigen gesellschaftlichen Bereich der DDR von wirklich Wissenden geschrieben wird.
Der gegenwärtige Alltag wird von Lügen und Halbwahrheiten über unser Leben im ersten sozialistischen deutschen Staat überlagert. Dem muss man sich auch im Interesse der Bildung der jungen Generation entgegenstellen. Gerade im 65. Jahr der Gründung der Nationalen Volksarmee muss verdeutlicht werden, dass diese Armee für den Schutz des Friedens stand. Ganz im Gegensatz zu den kriegerischen Einsätzen der Bundeswehr. Da ist dieses Buch auch eine gute Handreichung.
Es wäre schön, wenn noch viele Bürgerinnen und Bürger der DDR zur Feser greifen würden und über ihr Leben berichten.

Dazu Mut und Glück!

Mit herzlichen und solidarischen Grüßen
Raimon Brete