Moskaus Geduld ist am Ende
Als Reaktion auf das Scheitern der Verhandlungen mit der NATO über Sicherheitsgarantien des Bündnisses gegenüber Russland beschloss Moskau, die Stationierung des hochpräzisen operativ-taktischen Raketensystems 9K720 „Iskander-M“ (NATO-Klassifikation SS -26 „Stein“) auf der Krim. Das wurde bekannt, nachdem am Freitag, dem 14. Januar, der Befehlshaber des südlichen Militärbezirks, Armeegeneral Alexander Dwornikow, erklärt hatte: „Wir verstärken die auf der Krim stationierten russischen Einheiten, indem wir eine Feuerabteilung eines operativ-taktischen Raketensystems auf die Krim verlegen.“ Er sagte jedoch kein Wort darüber, um welche Feuerabteilung es sich handelt. Aber es besteht kein Zweifel, dass das System „Iskander“ bald auf der Halbinsel stationiert wird. Erstens, weil die russische Industrie keine anderen Raketensysteme produziert, die auch nur theoretisch zur Stärkung von Armeen und Korps mit kombinierten Waffen eingesetzt werden könnten. Und zweitens sagte der stellvertretende Verteidigungsminister der Russischen Föderation, Alexei Krivoruchko, im August letzten Jahres, dass die Streitkräfte der Russischen Föderation vor Ende dieses Jahres eine neue Brigade des operativ-taktische Raketensystems „Iskander-M, früher als geplant, erhalten werden.
Tatsache ist, dass die Produktionskooperation „Mashinostroeniya JSC“ von 2010 bis 2019 im Rahmen von Verträgen mit dem Verteidigungsministerium der Russischen Föderation die Ausrüstung für 13 Brigaden „Iskander-M“ lieferte. Jede der Brigaden besteht aus drei Feuerabteilungen und jede Feuerabteilung hat 12 Startfahrzeuge mit je zwei startklaren Raketen. Der Prozess der Umrüstung der gesamten Bodentruppen der Russischen Föderation mit „Iskander“ schien bereits 2019 abgeschlossen zu sein. Die letzten Exemplare dieses Waffensystems erhielt die 448. Raketenbrigade der 20. Gardearmee des Westlichen Militärbezirks, die nahe der ukrainischen Grenze, in der Region Kursk, stationiert ist. Und im Sommer wurde durch Krivoruchko bekannt, dass die eingestellte Produktionslinie der „Iskander“ bei „Mashinostroeniya“ wieder in Betrieb genommen und nach der Produktion der Ausrüstung für eine Brigade wieder eingestellt wurde.
Diese Brigade wird in separate Feuerabteilungen aufgeteilt. Eine davon wird auf der Krim stationiert und die anderen beiden kommen zum 14. Armeekorps der Küstenstreitkräfte der Nordflotte, das an der Grenze zum NATO-Mitglied Norwegen stationiert ist. Das wird die militärpolitische Situation in der Nähe der russischen Grenzen in der Arktis insgesamt drastisch verändern.
Im südlichen Militärbezirk sind bereits die 40. Garde-Raketenbrigade im Gebiet Astrachan (in direkter Unterstellung des Militärbezirkes), die 47. Raketenbrigade der 8. Gardearmee bei Dyadkowskaya, die 1. Garde-Raketenbrigade der 49. Armee bei Gorjatschi Klutsch und die 12. Raketenbrigade der 58. Armee bei Mosdok mit „Iskander“ ausgerüstet. Nun wird die Krim mit einer Feuerabteilung dazukommen. Der südliche Militärbezirk könnte dann sofort mit ungefähr 200 Raketen des Systems „Iskander“ ohne Nachladen zuschlagen. Ziele für die Raketen können in der Ukraine und in Rumänien liegen, wo auf dem Luftwaffenstützpunkt Deveselu im Dezember 2015 die Stationierung des amerikanischen Raketenabwehrsystems „Aegis“ abgeschlossen wurde. Bereits ab August 2016 begann der Transfer von US-Atomwaffen von der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik dorthin.
Die Iskander-Raketen des südlichen Militärbezirkes aus den oben genannten Gebieten Stawropol oder Krasnodar könnten Deveselu zwar erreichen, dazu müssten sie aber zunächst das Schwarze Meer und die Krim überfliegen, was die Flugzeit zum Ziel verlängern würde. Mit dem Einsatz der „Iskander“ auf der Krim verringert sich die Flugzeit auf einen minimalen Wert und für Deveselu wird es weitaus gefährlicher.
Und das gilt nicht nur für Rumänien und der Ukraine, sondern für ganz Europa, nachdem vor einigen Jahren der Marschflugkörper 9M729 (NATO-Bezeichnung SSC-8) für den operativ-taktischen Iskander-Komplex entwickelt wurde. Er wird von den Experten der Nordatlantischen Allianz für die Landversion des inzwischen berühmten russischen Marschflugkörpers 3M14 „Kalibr“ gehalten. Die Reichweite der „Kalibr“ beträgt etwa 2.500 bis 3.500 Kilometer. Laut dem amerikanischen Admiral James Foggo, ist die 3M14 in der Lage, jede europäische Hauptstadt von jedem Punkt der an Europa angrenzenden Meere aus zu treffen. Von der Krim aus wird das einfacher sein als beispielsweise von Mozdok oder Gorjatschi Klutsch. Gleichzeitig muss berücksichtigt werden, dass für den Einsatz von 9M729 ein Transport- und Startfahrzeug des Systems Iskander nicht mehr (wie bisher) nur zwei Raketen, sondern vier solche Marschflugkörper tragen kann. Was theoretisch das Kampfpotential von nur einer Feuerabteilung verdoppeln kann. Somit könnten sogar amerikanische Flugzeugträger im Mittelmeer und Träger von Tomahawk-Raketen sowie Elemente des Aegis-Raketenabwehrsystems – Zerstörer der Arleigh-Burke-Klasse und Raketenkreuzer der Ticonderoga-Klasse – von der Krim- und vom Kuban aus mit „Iskander“ getroffen werden. Bereits seit 2018 sind die Raketensoldaten des Militärbezirks Süd mit der entsprechenden Ausbildung beschäftigt.
Bis vor kurzem glaubte man, dass Iskander-Raketen hauptsächlich gegen stationäre Objekte mit gut bekannten Koordinaten, wie Kommandoposten, Kommunika-tionszentren, Munitionsdepots, Hauptquartiere und verschiedene zivile Infras-truktureinrichtungen, eingesetzt werden können. Jetzt wurden jedoch neue optoelektronisch und radargesteuerte Zielsuchköpfe für die Iskander-Raketen entwickelt. Das ermöglichte es, in Kombination mit den Raketenabwehrsystemen „Bastion“ und „Bal“, auch Iskander-Raketen gegen Seeziele im Schwarzen Meer einzusetzen.
Deshalb wird das von Armeegeneral Dwornikow angekündigte Erscheinen des Systems „Iskander“ auf der Krim ernüchternd auf die Nato wirken. Wenn das jedoch nicht ausreichend ist, wäre Moskau in der Lage, auf dem Flugplatz Gvardeyskoye, in der Nähe von Simferopol, Tu-22M3-Überschall-Langstreckenbomber (im Ausland besser bekannt als „Backfires“) zu stationieren, unter deren Tragflächen sich hochpräzise strategische Marschflugkörper Kh-101 mit einer Reichweite von bis zu 5.000 Kilometern befinden. Bereits im März 2019 erwähnte der ehemalige Oberbefehlshaber der russischen Luft- und Weltraumstreitkräfte und jetzige Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Viktor Bondarew, eine solche Möglichkeit – so als wäre es eine fast vollendete Tatsache. Bondarew erklärt heute, dass die Stationierung der Tu-22M3 auf der Krim davon abhängig ist, wie die Reaktion der USA und der NATO auf die von Russland schriftlich geforderten Sicherheitsgarantien ausfällt.
(Quelle: Ischenko, S., Swobodnaja Pressa, 16.01.21, redaktionell bearbeitete Übersetzung)
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