Moskau lässt sich nicht täuschen

Die Vereinigten Staaten haben Russland angeboten, Inspektionen der Einrichtungen zur Raketenabwehr (ABM) in Polen und Rumänien durchzuführen, um zu überprüfen, ob sich dort Marschflugkörper befinden, die gegen Russland eingesetzt werden könnten. Natürlich gilt diese Offerte nur bei ähnlichen Schritten von der Seite Moskaus. Das berichtete die spanische Zeitung „El País“, die im Dezember 2021 den vollständigen Wortlaut der Antworten der USA und der Nato auf die von Russland vorgeschlagenen Sicherheitsgarantien veröffentlichte. Die Echtheit dieser Dokumente wurde zwar nicht bestätigt, aber es ist unwahrscheinlich, dass sie versehentlich in die Medien gelangt sind. Viel wahrscheinlicher ist, dass sie mit Wissen der amerikanischen Regierung veröffentlicht wurden.

„Die Vereinigten Staaten sind bereit, einen Transparenzmechanismus zu erörtern, um das Nichtvorhandensein von Tomahawk-Raketen auf dem Aegis-Raketenabwehrsystem in Rumänien und Polen zu bestätigen, vorausgesetzt, dass Russland ähnliche Transparenzmaßnahmen für zwei Basen mit bodengestützten Raketen in Russland anbietet“, heißt es in dem Dokument.

Die amerikanische Antwort bezieht sich auch auf die Bereitschaft der Vereinigten Staaten, mit Russland gegenseitige Verpflichtungen zur Begrenzung der Stationierung offensiver Raketensysteme und -streitkräfte in der Ukraine zu erörtern sowie den Dialog über Fragen der Rüstungskontrolle im Bereich der Mittel- und Kurzstreckenraketen wieder aufzunehmen.

Zuvor hatten auch die amerikanischen Ausgaben des „Wall Street Journal“ und von „Bloomberg“ über diese Vorschläge berichtet. Laut WSJ-Journal haben polnische Beamte erklärt, sie seien bereit für russische Inspektionen von US-Raketenstandorten in Rumänien und Polen, wenn Moskau Inspektionen von Raketensystemen in Gebiet Kaliningrad zulässt. Die russische Seite äußerte sich lange Zeit nicht zu der amerikanischen Reaktion auf ihre Sicherheitsvorschläge, aber am 1. Februar sagte der russische Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen mit seinem ungarischen Amtskollegen Viktor Obran: „Russische Bedenken wurden  ignoriert und wir sehen keine angemessene Berücksichtigung unserer drei zentralen Anforderungen.“ Das sind die Nichterweiterung der NATO nach Osten, der Verzicht, Angriffswaffen in der Nähe der Grenzen Russlands zu stationieren und die Rückkehr zur militärischen Infrastruktur der NATO in Europa auf den Stand von 1997.

Der US-Vorschlag, Inspektionen von Raketenabwehranlagen in Rumänien und Polen zuzulassen, ist nichts weiter als eine Formalität, die in keiner Weise zur Sicherheit Russlands beitragen wird. Der Professor der Diplomatischen Akademie des russischen Aussenministeriums und Leiter des Zentrums für militärisch-diplomatische Analyse, Wladimir Winokurow, erklärte, dass diese Objekte sehr schnell von Anti-Raketen- zu Angriffs-Raketen-Abschussrampen umgewandelt werden können. „Unser Präsident hat wiederholt gesagt, dass diese beiden Basen, von denen eine in Rumänien bereits in voller Kampfbereitschaft ist und die zweite im polnischen  Redzikovo sich in der Endphase des Baus befindet, nur Fragmente der strategischen Raketenabwehr der USA in Europa sind. Sie können zudem jederzeit von defensiven zu offensiven Abschusseinrichtungen modifiziert werden, da die Raketenabwehrraketen in den Mk-41-Abschusscontainern leicht durch Tomahawk-Angriffsmarschflugkörper zu ersetzen sind. Selbst wenn die Vereinigten Staaten ein solches Angebot gemacht haben, ist dies nur eine weitere List unserer sogenannten Partner.“

Die USA fordern jetzt beidseitige Inspektionsmaßnahmen, aber sie selbst zogen sich aus dem ABM-Abkommen von 1972 zurück. Warum also jetzt solche Maßnahmen von Russland verlangen, die sie selbst abgelehnt haben?

Eine solche widersprüchlich Nachlässigkeit bei diplomatischen Verhandlungen sowie bei der Einhaltung von Verträgen ist typisch für die gegenwärtige amerikanische Diplomatie. Die aktuellen Vorschläge der USA erinnern daran, was in den 1980er Jahren mit dem Abkommen über die Abschaffung von Mittelstreckenraketen passiert ist. Als Russland alle seine Mittelstreckenraketen zerstörte, haben die USA ihre Raketen einfach grob demontiert und diese Baugruppen eingelagert und konserviert, so dass sie schnell zusammengefügt und jederzeit verwendet werden können. Das war ihr Trick, der aber leider von der Öffentlichkeit nicht bemerkt wurde.

In dem russischen Schreiben an die USA geht es vorrangig um schriftliche Sicherheitsgarantien. Insbesondere um die Rückkehr zu jener NATO-Infrastruktur, die zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Russland-NATO-Akte im Jahr 1997 existierte. Einige Länder, wie die baltischen Staaten, sind alarmiert, weil sie der Allianz erst nach diesem Zeitpunkt beigetreten sind. Russland fordert jedoch nicht ihren kompletten Austritt aus der NATO, sondern nur den Abzug von NATO-Truppen anderer Länder von ihren Territorium. Aber was die Infrastruktur betrifft, zu der sowohl Redzikovo in Polen als auch Deveselu in Rumänien gehören, ist es erforderlich diese Anlagen komplett zu eliminieren und nicht über Inspektionen zu verhandeln. Inspektionen sind nur eine Falle. Das Problem ist nicht nur, dass die Container mit Marschflugkörpern geladen werden können, sondern dass sich die dort befindlichen Anlagen in nur 20 Minuten zum Abschuss von Marschflugkörpern umprogrammieren lassen. Russland müsste also täglich nachprüfen, was genau geladen ist und dafür erhält die USA die Möglichkeit, die Stärke der russischen Streitkräfte im Gebiet Kaliningrad zu kontrollieren. Das ist ein völlig ungleicher Deal.

Russland wird sich nur mit der vollständigen Beseitigung dieser Einrichtungen zufrieden geben. Schon ihr Aufbau wurde zu einem der ersten Stolpersteine in den Beziehungen zwischen Russland und dem kollektiven Westen. Als der Bau der Anlagen begann, stellte Moskau die logische Frage: „Gegen wen werden diese Systeme eingesetzt?“  Unverständlicherweise wurde gesagt, dass sie gegen den Iran und Nordkorea benötigt werden, was einfach lächerlich ist. Selbst wenn diese Anlagen nur diese vorgetäuschte Funktion, nämlich das Abfangen von Raketen aus diesen Ländern erfüllen, muss von den Systemen unterschieden werden, wessen anfliegende Raketen es sind. Wenn russische Raketen bekämpft werden können, so richten sich diese Antiraketensysteme in jedem Fall auch gegen das strategische Potenzial der Russischen Föderation.

Das Fehlen eines gegen strategische Raketen gerichteten Abwehrsystems in den Vereinigten Staaten und in Russland war in der Vergangenheit eine Garantie dafür, dass sich die Parteien nicht gegenseitig angreifen, da sie nicht in der Lage waren, sich gegen den ersten Schlag zu verteidigen. Das war der Kern des ABM-Vertrages, aus dem die Vereinigten Staaten ausgetreten sind. Und nun stationieren sie genau diese Anlagen der Raketenabwehr in Europa, nahe an den Grenzen zu Russland. Das bedeutet, dass Russland bei einem Raketenangriff des Westens nicht zurückschlagen kann, da seine Raketen abgefangen werden. Somit spielt es eigentlich  für Russland keine Rolle, welche Raketen sich in diesen Einrichtungen in Polen und Rumänien befinden. Grundsätzlich sollten sie komplett entfernt werden. Aber die Amerikaner werden das aus politischen und strategischen  Gründen niemals tun.

(Quelle: Sedowa, A., Swobodnaja Pressa, 2.02.22, redaktionell bearbeitete Übersetzung)

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