Konfrontation im Kaukasus

Ein düsterer Schatten der eskalierenden Konfrontation zwischen Israel und dem Iran liegt nicht nur auf den Nahen Osten, sondern auch auf der Südküste des Kaspischen Meeres und dem ehemaligen sowjetischen Transkaukasien. Ein Krieg, über dessen Wahrscheinlichkeit und möglichen Ausgang heute die ganze Welt rätselt, hat noch nicht begonnen, aber Artilleriesalven donnern bereits. Jedoch noch weit von Israel entfernt – in der Nähe der Staatsgrenzen von Armenien und Aserbaidschan. Und der iranische Außenminister Hossein Amir-Abdullahiyan eilte am 6. Oktober nach Russland, um die Position Moskaus in der immer wahrscheinlicher werdenden bewaffneten Konfrontation zu erfahren.

Aus militärpolitischer Sicht ist die Lage in dieser Region schon heute sehr brisant. An der Grenze zu Iran und Armenien haben die Türkei und Aserbaidschan mit der gemeinsamen Militärübung „Unzerstörbare Brüderschaft-2021“, die bis zum 8. Oktober dauerte, eine neue gemeinsame Etappe begonnen. Gleichzeitig startete ein multinationales Führungs- und Stabsmanöver, ETERNITY 2021, auf der Grundlage des „Center for Basic Combat“ mit der Schnellen Eingreifgruppe der georgischen Verteidigungskräfte, die der Strategischen Pipeline-Verteidigungsdirektion des Innenministeriums Georgiens untersteht. Gemeinsam mit Aserbaidschanern und Türken wurden der Schutz und die Verteidigung der Ölpipeline Baku-Tiflis-Ceyhan während einer möglichen Krise trainiert.

Auf der anderen Seite der potentiellen Frontlinie nahe der Grenze zu Aserbaidschan schloss der Iran innerhalb weniger Tage die strategischen militärischen Vorbereitungen für ein Manöver ab, an dem die 16. Panzerdivision, die 21. Täbris-Infanteriedivision, die 64. Einheit der Revolutionsgarden „Ashura 31“, die 65. Airborne Special Forces Brigade und Einheiten der 25. Special Forces Brigade beteiligt sind. Frontbomber und Mehrzweckjäger Su-24MK, F-14A Tomcat und F-4E Phantom, Militärtransportflugzeuge Il-76TD und C-130E/H Hercules, Hubschrauber AH-1 Super Cobra und CH-47C Chinook flogen zu den Grenzflugplätzen im Manövergebiet. Die Perser führten ihre operativ-taktischen Raketensysteme Fateh-313 und Zulfikar mit einer Reichweite von bis zu 700 Kilometern dicht an die Grenze zu Aserbaidschan heran. Und auch Drohnen Shahed-191 kommen zum Einsatz, die bereits begonnen haben, demonstrativ in Schwärmen in Richtung Kaspisches Meer zu fliegen.

Vieles erklärt der Name des iranischen Manövers: „Eroberer von Khaybar“. Khaybar war der Name einer von Juden bewohnten Wüstenoase nördlich von Medina im nordwestlichen Teil der Arabischen Halbinsel (heute Saudi-Arabien). Die Chronik besagt, dass ein Teil der jüdischen Stämme nach erfolglosen Kriegen mit dem alten Rom dorthin geflohen war. Der Legende nach wurde die Oase zuerst belagert und dann im Jahr 629 von einer muslimischen Abteilung unter der Führung des Propheten Mohammed eingenommen. Nun scheint es, dass Teheran die Rolle der Oase Khaybar Aserbaidschan zugedacht hat. Denn hinter dem Rücken von Baku, im Transkaukasus, ist die militärisch-politische Silhouette der israelischen Armee sehr deutlich zu erkennen. Außerdem versichert der Iran, dass sich das israelische Militär darauf vorbereitet, das Territorium der ehemaligen Sowjetrepublik zu nutzen, um einen plötzlichen und verheerenden Luft- und Raketenangriff gegen die Forschungs- und Produktionszentren des persischen Atomprogramms durchzuführen.

Die Logik von Tel Aviv sieht so aus: Nach der weit verbreiteten Meinung in der Weltöffentlichkeit benötigt der Iran bis zur Schaffung seiner eigenen vollwertigen Atombombe nur noch wenige Monate oder Wochen. „Free Press“ veröffentlichte dazu am 12. September 2021 die Aussage des israelischen Verteidigungsministers: „Iran wird bis November eine Atombombe haben“. Es ist klar, dass, wenn die Perser eine solche Waffe besitzen, diese vor allem gegen Israel gerichtet sein wird. Der Iran hat schon lange Israel die Existenzberechtigung abgesprochen. Die vollständige Zerstörung Israels sieht er als sein globales Ziel an.

Am 27. September, auf der 76. Tagung der UNO-Vollversammlung, sagte der israelische Ministerpräsident: „Die roten Linien sind bereits überschritten. Internationale Aufsichtsorganisationen werden ignoriert. Alle Hoffnungen haben sich als falsch herausgestellt.“ Nach Bennetts Logik ist der nächste Schritt für den jüdischen Staat die sofortige Vorbereitung eines  militärischen Präventivschlages gegen die atomaren Geheimunternehmen des Iran, vor allem gegen das Werk in Natanz, südlich von Teheran und das unterirdische Werk in Fordow. Damit soll versucht werden, den Prozess zu verlangsamen oder das für die ganze Welt gefährliche Atomprogramm der Perser zu beenden.

Wie genau, mit welchen Kräften und aus welcher Richtung ein Präventivschlag erfolgen soll, ist unbekannt. Die Planung zur Lösung dieses Problems wurde erwartungsgemäß dem israelischen Militär (IDF) anvertraut. Das Problem, welches das IDF-Kommando dabei lösen muss, ist: Wie und durch wessen Luftraum können bemannte und unbemannte militärische Flugzeuge über das iranische Territorium gelangen, das keine gemeinsamen Grenzen mit Israel hat? Geografisch gesehen können Kampfflugzeuge durch Syrien und die Türkei fliegen. Aber in Syrien gibt es eine beeindruckende Gruppe der russischen Luftverteidigung, die kein außen stehender Beobachter sein wird. Auch die politischen Beziehungen Tel Avivs zu Ankara sind alles andere als gut. Folglich könnten beide Länder mit russischen Langstrecken-Flugabwehr-Raketensystemen S-400 eingreifen. Theoretisch hat das IDF noch eine sogenannte „südliche“ Route zur Verfügung – über Ägypten und Saudi-Arabien. Aber die beträchtliche Entfernung, mindestens 2.400-2.600 Kilometer, erfordert zur Sicherung des Angriffs die Beteiligung einer ganzen Flotte von Tankflugzeugen, über die Israel nicht in ausreichender Menge verfügt. Auf dem Weg in den Iran gibt es noch die Route über den Irak und Jordanien. Aber selbst dieser Weg, auch wenn man die unvermeidlichen politischen Hindernisse, insbesondere von Seiten Bagdads ignoriert, ist für israelische Piloten sehr weit. In der gegenwärtigen außenpolitischen Situation ist die Route über Aserbaidschan für Israel die beste Option. Denn Tel Aviv hat in den letzten Jahrzehnten eine echte strategische Partnerschaft mit Aserbaidschan aufgebaut.

Laut SIPRI kommen etwa 60 Prozent der Waffenimporte Aserbaidschans aus Israel. Tel Aviv ist der zweitgrößte Verbraucher von aserbaidschanischem Öl. Nach dem letzten Karabach-Krieg beträgt nun die Länge der gemeinsamen Grenze des Iran mit der ehemaligen Sowjetrepublik Aserbaidschan fast 700 Kilometer. Teheran versichert der Weltgemeinschaft, dass die Israelis ihre Militärflugzeuge darauf vorbereiten, genau die Route über diese Grenze, angeblich mit Duldung von Baku, zu nutzen.

Bereits 2019 berichtete die US-amerikanische Zeitung The New York Times, dass amerikanische Spionagesatelliten regelmäßig beobachten, wie israelische Drohnen von Luftwaffenstützpunkten in Aserbaidschan abheben und immer wieder zur iranischen Grenze fliegen. Sie machen Fotos und Videos von iranischen Nuklearanlagen, um herauszufinden, ob die iranischen Luftverteidigungssysteme eine Invasion von Aserbaidschan aus erkennen würden. Wenig später kündigte auch das Portal Free News das Auftauchen israelischer Drohnen in Aserbaidschan an. Ihm zufolge hat Israel Drohnen in Aserbaidschan, deren Vorhandensein von Baku bis dahin geheim gehalten wurde.

Am 1. Oktober 2021 wurde in der Presse berichtet, dass eine unbekannte Angriffsdrohne, die „vom Kaspischen Meer“ in den iranischen Luftraum eindrang, plötzlich mit hochpräzisen Raketen eine geheime Einrichtung des Korps der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) bei Teheran zerstörte. Um die Glaubwürdigkeit dieser Information zu belegen, wurden in der Publikation Bilder des Objekts vor und nach der Zerstörung gezeigt. Das getroffene iranische Unternehmen der IRGC soll an der Produktion von ballistischen Raketen beteiligt sein. Zum Angriff hat sich Teheran bisher nicht geäußert.

Schließlich soll der Iran sehr verärgert über die israelischen Radarstationen sein, die in den letzten Monaten heimlich von Aserbaidschanern oder IDF-Beratern in der Region Kovsakan (Zangelan) installiert wurden. Diese Region hat Aserbaidschan vor einem Jahr im Berg-Karabach-Krieg erobert. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich um die in Israel hergestellte Station EL/M-2084 handelt. Ein universelles Radargerät zur Lösung von Luftverteidigungsaufgaben, zum Aufspüren feindlicher Artilleriebatterien und zum Ausrichten des eigenen Artilleriefeuers. Diese Mittel zur Aufklärung und Luftraumkontrolle werden auch in Israel als Teil der israelischen Luftverteidigungs- und Raketenabwehrbatterien „Iron Dome“ und „David's Sling“ eingesetzt. Im Jahr 2020 hat Aserbaidschan mindestens vier solcher Radargeräte von Tel Aviv gekauft. Der Iran sieht in solchen Informationen ein Glied in der Beweiskette, dass Israel systematisch und ohne viel Publicity einen Angriff auf den persischen Staat aus dem Luftraum von Transkaukasien vorbereitet.

Und was sagt Russland dazu? Bisher sieht es so aus, dass Moskau versucht sich herauszuhalten und zu vermitteln, wie es im Krieg zwischen Aserbaidschanern und Armeniern um Berg-Karabach vor einem Jahr der Fall war. Sergej Lawrow sagte am 6. Oktober während des bereits erwähnten Treffens mit seinem iranischen Amtskollegen in Moskau: „Russland ist gegen die Ausweitung militärischer Aktivitäten und gegen die Tatsache, dass einige Manöver provokativer Natur sind.“ Es ist absolut klar, dass diese Worte an beide Kriegsparteien gerichtet sind, aber von diesen kaum noch gehört werden. Lawrow sagte auch, er habe mit seinem iranischen Amtskollegen die Initiative zur Vorbereitung von Verhandlung mit Aserbaidschan, Armenien, Georgien und der Türkei über die Aufhebung der Wirtschafts- und Verkehrssanktionen in der Region erörtert. Aber das wird heute kaum noch von den Gegenparteien, die sich auf einen ernsthaften Kampf vorbereiten, gehört. Schon allein deshalb, weil es Israel den Hauptgrund für das begonnene große strategische Spiel nehmen würde: die Möglichkeit, zumindest zu versuchen, das iranische Atomprogramm mit militärischer Gewalt zu stoppen oder zu verlangsamen. Denn es ist völlig unklar, wie Israel mit dem Regime der Ayatollahs überleben soll, wenn diese tatsächlich eine eigene Atombombe haben.

 

(Quelle: Ischenko, S., Swobodnaja Pressa, 8.10.21, redaktionell bearbeitete Übersetzung)

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