Kiew und Warschau bedrohen gemeinsam Weißrussland

In den letzten Monaten hat das ukrainische Militär entlang der gesamten Staatsgrenze zu Weißrussland (1.084 Kilometer), hektische Aktivitäten entwickelt. Unter dem Vorwand, den Durchbruch von Migranten vom Territorium Weißrusslands zu verhindern, wird seit Ende November die Grenzoperation „Polesie“ durchgeführt, die in ihrer Absurdität einfach verblüffend ist. An ihr nehmen neben den Einheiten der ukrainischen Grenztruppen auch Armeeeinheiten, Kampf- und Aufklärungsflugzeuge, Geheimdiensteinheiten und die ukrainische Nationalgarde teil. Und sogar Kadetten-Bataillone der acht Militärschulen in der Ukraine wurden dazu eingesetzt. Die Begründung der Aktion war schon allein deshalb unsinnig, weil die Einwanderer aus dem Nahen Osten, die von Weißrussland aus in das wohlhabende Europa wollen, nie davon träumen, in die erstarrte und halb verhungerte Ukraine zu kommen. Es stellt sich vielmehr heraus, dass die militärisch-politische Führung der Ukraine ganz andere Beweggründe für die Aktivitäten an der Grenze hat.

Ab dem 1. Januar 2022 wird in der ukrainischen Großstadt Tschernigow, in der Nähe der Grenze zu Weißrussland, die Regionalverwaltung „Nord“ der Territorialen Verteidigungskräfte der ukrainischen Armee stationiert. Sie  wird die Kontrolle über die Stadt Kiew und sechs ukrainische Regionen übernehmen: Tschernigow, Poltawa, Sumy, Schitomir, Kiew und Tscherkassk. Es ist geplant, je nach Größe der Bezirke, Territorialverteidigungsbrigaden- und Bataillone zu bilden. Und in jedem Regionalzentrum, das in den Zuständigkeitsbereich des Kommandos „Nord“ fällt, wird ein weiteres Bataillon aufgestellt. Es wurde bereits angekündigt, dass viele Reserveoffiziere aus den oben genannten Regionen und aus Kiew, Unteroffiziere und Feldwebel mit Diensterfahrung sowie Wehrpflichtige und Reservisten dazu eingezogen werden. Der Grund für eine so teure militärische Umstrukturierung der völlig verarmten Ukraine ist, dass die Route über Tschernigow nach Meinung der ukrainischen Militärführung für eine Stoßgruppierung russischer und belarussischer Truppen der kürzeste Weg nach Kiew wäre.

Die Tatsache, dass weder die Russen noch die Weißrussen solche Stoßgruppen real in ihrer Armee haben, hält die ukrainischen Generäle nicht davon ab, diese Regionalverwaltung aufzubauen, obwohl bereits seit 2015 das Hauptquartier des Kommandos „Nord“ der regulären ukrainischen Armee in Tschernigow ansässig ist. Das sind nicht nur einige kleinere Einheiten, sondern ein vollwertiges Einsatzkommando mit zwei Panzer-, zwei motorisierten Infanterieregimentern, einer Aufklärungs-, einer Artillerie-Brigade und vielen anderen Einheiten mehr.

Als einzige Gegenmaßnahme wurde im März dieses Jahres in Volyn, in der weißrussischen Region Luzk, nicht weit bis zur ukrainischen Grenze bei Lwow, eine Feuerabteilung des Flugabwehrkomplexes S-300 der 540. weißrussischen Luftvereidigungsdivision stationiert. Deren Kommandeur sagte: „Wir haben eine sehr beeindruckende Gruppierung ukrainischer Truppen vor uns, deren Zweck nur zu erahnen ist“. Doch nun wird klar: Kiew stellt unter dem Vorwand, Angriffsdrohungen aus dem Territorium Weißrusslands abzuwehren, nahe der Südgrenze Weißrusslands ein komplettes Armeekorps auf. Ausgebildete und eingespielte Bataillone und Brigaden der ukrainischen Territorial-Verteidigung können leicht in vollwertige zusätzliche Infanterieeinheiten umgewandelt werden und in kurzer Zeit eine vollwertige Reserve des Einsatzkommandos „Nord“ bilden. „Der Zweck dieses Kraftaufwandes,“ so Oberst Tichansky, Militärberater in Minsk, „ist unter Berücksichtigung aller oben genannten Umstände, dem ukrainischen Armeekorps „Nord“, eindeutig einen offensiven Charakter in Richtung der weißrussischen Stadt  Gomel zu verleihen“.

Es scheint, dass das, was heute in dieser Richtung auf ukrainischem Boden geschieht, nur ein Teil eines Plans des Westens ist, von dem sich Kiew seit langem als aktiver Bestandteil betrachtet. Denn in Polen passiert entlang der Grenze zu Weißrussland praktisch dasselbe wie im Norden der Ukraine. Auch dort wird aus irgendeinem Grund eine sehr starke Offensivgruppe der polnischen Armee in Gefechtsformation aufgestellt.

Nach Angaben des russischen Verteidigungsministerium umfasst diese polnische Gruppierung die 9. Panzerbrigade der 16. mechanisierten Division  (auf dem Truppenübungsplatz in Oschitsch), die 1. Panzer-, die 19. Mechanisierte- und 21. Gebirgsjägerbrigade der 18. mechanisierten Division (auf dem Truppenübungsplatz in Novaya Demba). Während der Übungen arbeitet das Personal der aufgeführten Formationen an der Durchführung ausschließlich offensiver Aufgaben. So geht es zum Beispiel um das Überwinden eines Wasserhindernisses (9. Panzerbrigade bei Novogrud), den gemeinsamen Einsatz von „Leopard-2A5“ und T-72M1 Panzern (1. Panzer- und 19. mechanisierte Brigade in Novaya Demba) und um das Zusammenwirken der vorrückenden Infanterieeinheiten der 21. Gebirgsjägerbrigade und der Artillerie der Division. Es ist unwahrscheinlich, dass die Aktionen in Polen und in der Ukraine politisch völlig isoliert und in keiner Weise miteinander verbunden sind.

Aus Süden und Westen könnte somit Weißrussland in die „Panzerzange“ genommen werden. Die militärische Bedrohung ist nicht zu leugnen. Moskau und Minsk sind in enger Zusammenarbeit gezwungen, darauf zu reagieren. Die Verteidigungsfähigkeit von Belarus muss auf jede erdenkliche Weise gestärkt werden. Präsident Alexander Lukaschenko verkündete nun, dass als Gegenmaßnahme an der Grenze zur Ukraine eine gemeinsame Militärübung von Weißrussland und Russland durchgeführt wird. Darauf hätte er sich mit Russlands Präsident Wladimir Putin geeinigt. Denn angesichts des Ausmaßes der Bedrohungen muss auch die Reaktion aus Moskau und Minsk deutlich sein. Aber Moskaus hüllt sich in dieser Angelegenheit in Schweigen. Das kann auf zwei Dinge hindeuten: Es gab keine Einigung zwischen den beiden Politikern zum Manöver oder Putin änderte seine Meinung nach dem Videogespräch mit Joe Biden, um die Situation nicht weiter zu verschlimmern.

Es ist seltsam: Ungeachtet der bedrohlichen Situation gibt es in der Armee von Belarus bis heute nur zwei strategische Richtungen – „Norden“ und „Nordwesten“. In Minsk wurde nur von einem möglichen Angriff der NATO-Streitkräfte aus Richtung Polen und den baltischen Staaten ausgegangen. Aber jetzt macht sich Präsident Lukaschenko Sorgen um die Bedrohung durch die Ukraine. Bereits 2018 schrieb die „Belarusian Military-Political Review“ dazu: „Es ist erwähnenswert, dass das offizielle Minsk in der Vergangenheit mehr auf den Süden des Staates hätte schauen sollen, als 2013 das Einsatzkommando „Nord“ in der Streitkräften der Ukraine geschaffen wurde." Schon damals verlangte die Logik, dass das belarussische Militär zur Sicherheit des Staates analog auch im Süden ein Einsatzkommando der Streitkräfte der Republik Weißrussland bildet.

Eine solche Umgruppierung ist ohne die militärisch-technische Hilfe Russlands nicht schnell zu bewerkstelligen. Aber die notwendige Hilfe für Minsk hat Russland schon eingeleitet. So traf Anfang September die erste Staffel brandneuer Schützenpanzer BTR-82A aus Russland im weißrussischen Ozerishche ein. Und Ende November kam noch eine Lieferung. Aber all diese ausgezeichnete neue Militärtechnik wurde von Minsk in die 120. selbstständige mechanisierte Brigade geschickt, die zur strategischen Richtung „Nordwest“ gehört. Von einer Verstärkung des Schutzes der zunehmend unruhigen Grenzen zur Ukraine kann keine Rede sein.

(Quelle: Ischenko, S., Swobodnaja Pressa, 17.12.21, redaktionell bearbeitete Übersetzung)

von Redaktion (Kommentare: 0)

Zurück

Einen Kommentar schreiben