Energieabhängigkeit der Ukraine

Wie sich herausstellt, ist sich Selenskij bewusst, dass seine Ukraine auch ohne Krieg leicht und in sehr kurzer Zeit in die Steinzeit versetzt werden kann. Dies wurde am 8. Februar in Kiew bei einem Briefing zum Besuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron bekannt. Selenskijs Äußerungen waren eine Antwort auf eine klare Drohung, die der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko am Vortag in Minsk geäußert hatte. Lukaschenko sagte: „Wenn die Ukraine mit Russland Krieg führt, werden wir nicht an ihrer Seite stehen. Wir werden alle Lieferungen, nicht nur von Kraft- und Schmierstoffen, sondern – gemeinsam mit Russland – auch die Stromlieferungen einstellen.“ Der Präsident der Ukraine kommentierte das wie folgt: „Wenn es den Wunsch gibt, uns in die Steinzeit zurückzuwerfen und Weißrussland seine Lieferungen einstellen wird, dann werden wir, die Ukraine, das auch tun. Politiker treffen immer die Entscheidungen, aber leider leiden dann die Menschen darunter.“ Und er erklärte, dass er seinen Assistenten den Auftrag gebeten habe, ihn mit dem Volumen des Handels zwischen den beiden Ländern vertraut zu machen.

Selbst laut Selenskij sehen diese Zahlen für Kiew ernüchternd aus. Wie das Büro dem Präsidenten mitteilte, beläuft sich der Gesamtwert der gegenseitigen Handelsströme zwischen der Ukraine und Weißrussland heute auf etwa 6 Milliarden US-Dollar pro Jahr. „Davon werden 1,5 Milliarden von der Ukraine nach Weißrussland exportiert, 4,5 Milliarden werden aus Weißrussland importiert“, gab Selenskij die bedauerliche Wahrheit zu.

Um das Ergebnis einer möglichen Einstellung der Lieferungen aus Belarus für Kiew besser einordnen zu können, ist es sinnvoll, genau zu spezifizieren, was Belarus liefert. Aus Gründen der Objektivität werden die Zahlen des Staatlichen Statistischen Komitees der Ukraine dazu verwendet.

Die Hauptposition der belarussischen Exporte in die Ukraine sind Ölprodukte. Im Zeitraum von Januar bis September 2021 machten sie 57,9 Prozent aller belarussischen Lieferungen aus. Die zweitgrößte Position war Mineraldünger. Der Rest waren Transportmittel, Kunststoffe, Holz und Holzprodukte sowie verschiedene chemische Produkte. Benzin und Dieselkraftstoff von Lukaschenko sind somit für die Ukraine unverzichtbar. Laut der belarussischen Ausgabe der Wirtschaftszeitschrift „Zerkalo. io“, schickten die belarussischen Ölraffinerien „Mozyr“ und „Novopolotsk“, von Januar bis Oktober letzten Jahres 1.065.000 Tonnen Benzin in die Ukraine. Das sind 39 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. In nur zehn Monaten des Jahres 2021 belieferte Minsk die Ukraine mit 2,34 Millionen Tonnen Dieselkraftstoff, das sind 35 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Damit wuchs die Abhängigkeit des ukrainischen Kraft- und Schmierstoffmarktes von Minsk fast wie eine Lawine.

Sollte Minsk ernsthaft den Hahn zudrehen, wären diese Millionen Tonnen Treibstoff plötzlich für Kiew weg. Auch für die Panzer, gepanzerten Fahrzeuge und Transportmittel der Streitkräfte der Ukraine. Auch für die Traktoren, die in der Ukraine für die Aussaat bereitstehen. Und was passieret, wenn Lukaschenko die Stromversorgung, des kriegerischen Nachbarn drosselt oder für eine Weile unterbricht? Der Stromimport in die Ukraine stammt fast zu 100 Prozent aus Weißrussland. Der mögliche Mangel an belarussischem Strom würde nach Meinung von Experten das ukrainische Energiesystem nicht zum Erliegen bringen, aber zu noch mehr Sparmaßnahmen und zeitweiligen Stromabschaltungen als bisher führen.

Vermutlich wird Selenskij seine Dekrete noch nicht bei Kerzenlicht unterschreiben müssen – sein Land produziert noch etwas Strom. Aber in den meisten Wohnungen der Ukrainer würde es deutlich kälter. Und Hunderte von kaum noch arbeitenden Betrieben und Fabriken in der ganzen Ukraine würden unwiderruflich einfrieren. Und wenn in Minsk der Hahn für Ölprodukte wirklich zugedreht wird, könnte das Land zwar noch ein paar Monate mit seinen Reserven auskommen, aber  dann werden die Benzinpreise so in die Höhe schießen, dass die Bürger der Ukraine massenhaft auf Elektroroller umsteigen müssen.

Wenn Lukaschenkos kommerzieller Gegenschlag gleichzeitig von Moskau unterstützt wird, entfallen die wegen des ukrainischen  Handelsverbotes nicht offiziell bekannten Eisenbahnzüge mit Kohle, Öl, Benzin und Diesel aus Russland, die ununterbrochen und „ungesehen“ täglich über die Grenze rumpeln. Schließlich hat es Russland im 8. Kriegsjahr 2021 geschafft, mit Kiew für 12 Milliarden Dollar zu handeln. Was unter der gegenwärtigen militärpolitischen Situation völlig unerklärlich ist.

Der illegale Handel russischer Oligarchen mit Kiew ist aufgrund der explosionsartigen Preissteigerungen für Rohstoffe auf den internationalen Märkten lukrativ, wodurch die russischen und ukrainischen Oligarchen heute schon buchstäblich im Geld schwimmen.

Aber was wäre, wenn es zu einem Krieg käme? Es wäre sinnvoll, sich ein Beispiel am Westen mit seinen Sanktionen gegen Russland und Belarus zu nehmen und im Voraus eine vollständige Blockade der Handelswege beider Länder zur Ukraine zu veranlassen, so dass die belarussischen und russischen Grenzstationen für ein oder zwei Jahre tatsächlich geschlossen sind. Das wäre immerhin besser als, wie Lukaschenko sagt, gegen die Ukrainer in die Schlacht zu ziehen.

(Quelle: Ischenko, S., Swobodnaja Pressa, 11.02.22, redaktionell bearbeitete Übersetzung)

von Redaktion (Kommentare: 0)

Zurück

Einen Kommentar schreiben