Die besondere Position des Präsidenten der Türkei

Geostrategisch und geopolitisch verfügt die Türkei mit ihrer geographischen Lage (Schnittstelle/Bindeglied zwischen Europa und Asien, Bosporus) und der Mitgliedschaft in unterschiedlichen Bündnissen über eine besondere Stellung in Europa und im Nahen Osten ein. Diese Tatsachen geben dem türkischen Präsidenten Erdogan die Möglichkeit nationale und internationale Interessen gegen Ost und West zu favorisieren.

Der türkische Präsident Erdogan zerschlägt CIA-Strukturen (Gülen-Bewegung) in militärischen und Verwaltungsstrukturen in seinem Land und wendet sich damit offen gegen die Interessen der USA. Der Militärputsch war schließlich in diesem Kontext ein willkommener Anlass, um in der Folge die Beseitigung dieses USA-Einflusses zu forcieren und abzuschließen.

Gegenüber Westeuropa/EU beharrt er auf eigenen Interessenlagen, tritt gegen westeuropäische Bestrebungen auf bzw. ignoriert solche, weil die Türkei bekanntermaßen nur als Instrument zur Durchsetzung der EU-Interessen genutzt werden aber nicht wirklich in die Wirtschaftsgemeinschaft integriert werden soll.

Herr Erdogan paktiert mit Russland als Botschaft gegenüber dem Westen, um eigene nationale Interessen zu verwirklichen. Er strebt eine Vollmitgliedschaft der Türkei im OSC (Shanghaier Konferenz) an, orientiert sich damit nach Asien und sieht hier natürliche Verbündete.

Von den Russen kauft er moderne Flugabwehrsysteme (S 400), tritt damit aus dem Luftwaffenschild der NATO aus, was neben der strategischen Schwächung des militärischen Bündnisses einen Affront gegen die USA darstellt. Er suggeriert gemeinsame Interessen mit Russland und China, um von deren Möglichkeiten und Innovationen sowie den strategischen Unternehmungen (Seidenstraße) zu partizipieren.

Präsident Erdogan richtet mit Unterstützung der Russen unter Duldung der Assad-Administration auf syrischem Territorium seine Pufferzone ein, um die kurdische Bedrohung zu neutralisieren. Gleichzeitig unterstützt er mit Spezialkräften (türkische Special Forces) und Artillerieverbänden die ALKAIDA (HAYAT, TAHRIR, AL-Sham) in Idlib im Kampf gegen die reguläre syrische Armee und agiert damit gegen die Schutzmacht Russland. Notwendige Munition dafür wird von den USA geliefert. In der letzten Woche haben türkische Luftstreitkräfte gezielt reguläre syrische Streitkräfte bombardiert und Infanterieverbände, Panzer- und Artilleriestellungen sowie die syrischen Luftabwehr empfindlich getroffen. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass das russische System Panzyr, ein älteres System der Truppenluftabwehr, mit Drohnen ohne erkennbare Gegenmaßnahmen bei eingeschaltetem Radar wirksam bekämpft wurde. Die russische Seite hat nach 2-3 Tagen reagiert und den syrischen Streitkräften neuere bzw. modifizierte Waffensystem zur Verfügung gestellt. Mit diesen Waffen wurden 10-13 Drohnen abgeschossen. Die türkische Armee hat darüber hinaus durch direkten Feuerkampf mind. 60 Soldaten verloren. Diese Ereignisse haben offensichtlich dazu geführt, dass Herr Erdogan zu einem Treffen mit Herrn Putin nach Moskau gereist ist.

Panzyr-S1 im Einsatz (Quelle: Bildarchiv TvNVA - 2020

Panzyr-S1 im Einsatz (Quelle: Bildarchiv TvNVA - 2020)

Manche sagen, dass die türkische Regierung ihre Fahne in den Wind hängt, kein verlässlicher Partner ist. Der Präsident scheint den Großmachtchauvinismus des osmanischen Reiches wiederbeleben zu wollen. Gerne umgibt er sich bei öffentlichen Auftritten mit Memorabilien, d.h., Sinnbilder in Form von Uniformen erfolgreicher vergangener Zeitepochen, um an die Großmachtstellung des osmanischen Reiches zu erinnern und damit nationales Gedankengut zu beflügeln sowie die Bevölkerung für die aktuellen militärischen Aktivitäten zu begeistern. Er handelt wie Präsident Trump nach der Maxime - Türkei first.

Präsident Erdogan agiert also von einer starken geostrategischen Position aus und weder der Osten noch der Westen wollen mit ihm brechen. Er kann sich mit beiden Seiten anlegen, ausgehend davon, dass alle an seinem Wohlwollen interessiert sein müssen, ein durchaus realistischer Ansatz.

Wer beendet wie diesen Patt-Zustand? Wer riskiert in Europa, dass der türkische Präsident die Grenzen wirklich öffnet? Andererseits kann ernsthaft niemand davon ausgehen, dass die Türkei das Problem der begonnenen Völkerwanderung dauerhaft für die EU löst. Schließlich ist die Türkei für die Sicherheitsinteressen der EU/NATO und alle Pläne gegen Russland/China unverzichtbar, nimmt sie eine Schlüsselstellung ein.

von Redaktion (Kommentare: 0)

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