Der Krieg um Berg-Karabach
Die Ursachen des Berg-Karabach-Konfliktes liegen weit zurück. Nach dem Sieg Russlands über Persien im Jahr 1828 ließen sich viele persische Armenier in Berg- Karabach nieder. Eine weitere Welle von Armeniern traf nach den Pogromen 1915 bis 1918 in der Türkei in Berg-Karabach ein und sorgte dafür, dass in der Region eine erhebliche armenische Bevölkerungsmehrheit entstand. Fast zeitgleich mit dem Völkermord in der Türkei fand 1918 in Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans, aus ethnischen und religiösen Gründen ein Massaker an den dort lebenden Armeniern statt. Aber auch in anderen Gegenden Aserbaidschans wurden Armenier vertrieben und getötet. Etwa 25.000 Armenier wurden regelrecht abgeschlachtet. 1920 teilten die Türkei und Sowjetrussland Armenien unter sich auf. Infolge des Türkisch-Griechischen Krieges wurde im Vertrag von Kars am 23. Oktober 1921 die Teilung fixiert. Der weitaus größere, westliche Teil des historischen Siedlungsgebietes der Armenier blieb unter türkischer Herrschaft. Nach der Gründung der Sowjetunion dauerten die Unruhen um Berg-Karabach bis 1923 an. Erst auf Befehl des sowjetischen Revolutionsführers und Parteichefs Lenin wurde Berg-Karabach zum autonomen armenischen Gebiet erklärt und als Bestandteil Aserbaidschans definiert. Armenien war nur über eine schlecht befahrbare Bergstraße von Berg-Karabach aus zu erreichen. Erst 1936 wurde Armenien eine Sowjetrepublik. Armenien ist das kleinste und südlichste Land der Kaukasusregion. Das Land ist etwa so groß wie das Bundesland Brandenburg. Es ist ein Gebirgsland mit drei Millionen Einwohnern und grenzt im Westen und im Süden an die Türkei, im Osten an Aserbaidschan und im Norden an Georgien. Im Süden hat es auch ein kleines Stück Grenze zum Iran.
Die in Berg-Karabach lebenden Armenier hatten sich nie mit der Zugehörigkeit zu Aserbaidschan abgefunden. 1988 sprach sich die KPdSU von Berg-Karabach für einen Anschluss an die armenische Sowjetrepublik aus. Es begannen Demonstrationen und Schikanen von Aserbaidschanern gegen die Armenier. 1990 verließen 250.000 in Aserbaidschan lebende Armenier ihre Heimat, besonders deren Hauptstadt Baku, und flüchteten nach Armenien, Georgien, Russland, aber auch ins Ausland, z. B. nach Frankreich.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion begann 1991 ein Bürgerkrieg in Berg-Karabach, der über 42.000 Tote (17.000 Armenier und 25.000 Aserbaidschaner) forderte und jeweils von Aserbaidschan und Armenien unterstützt wurde. Nach dem Waffenstillstand, der besonders auf internationales Drängen am 12. Mai 1994 vereinbart wurde, entstand die von Berg-Karabach-Armeniern ausgerufene, 145.000 Einwohner zählende Republik Berg-Karabach. Sie wurde jedoch international nicht anerkannt. Aserbaidschan verlangte die Rückgabe von Berg-Karabach und Armenien die Unabhängigkeit der Region.
Im Juli 2007 drohte der aserbaidschanische Präsident Ilcham Alijew mit einem erneuten Krieg, wenn Armenien Berg-Karabach nicht freiwillig räume. Die Armenier hatten zudem mit Ende des Krieges 1994 nicht nur Berg-Karabach unter ihre Kontrolle gebracht, sondern auch die aserbaidschanischen Bezirke Agdam, Cbrayil, Füzuli, Klbcr, Lacin, Qubadli und Zngilan, die außerhalb des früheren autonomen Gebiets Berg-Karabach liegen, was gefährlichen Konfliktstoff ergab. Erst durch Vermittlung des ehemaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew kam es am 2. November 2008 im Rahmen des GUS-Gipfels in Sankt Petersburg bei einem Treffen der Präsidenten Aserbaidschans, Ilcham Alijew, und Armeniens, Sersch Sargsjan, zu einer Erklärung der Präsidenten beider Staaten, dass sie den Konflikt friedlich und nach internationalem Recht lösen werden.
Ohne Unterstützung der Russischen Föderation wäre Armenien kaum lebensfähig. Zu Russland hat auch die armenische Bevölkerung ein gutes Verhältnis. Russland ist der Haupthandelspartner Armeniens sowie größter Investor und der einzige Lieferant von Erdöl und Erdgas. Auch die Stromversorgung ist in russischer Hand. Nach dem Zerfall der UdSSR stand ein Abzug der russischen Truppen aus Armenien nie zur Debatte. Widerstand gegen die russischen Truppen gab und gibt es nicht, weder von der Armenischen Regierung noch von der Bevölkerung. Der Grund dafür ist die Überzeugung der Armenier, dass nur das russische Militär im Land die Sicherheit Armeniens gewährleisten kann. Verträge aus den Jahren 1992 und 1995 sind die Grundlage die russische Militärpräsenz in Armenien. 1997 schloss Armenien mit Russland außerdem einen Freundschaftsvertrag über militärische Kooperation und gegenseitigen Beistand im Kriegsfall ab. Der Stützpunktvertrag von 1995 wurde im August 2010 bis zum Jahre 2044 verlängert. Die Klausel, dass die russischen Truppen, die in Armenien stationiert sind, nur innerhalb der Grenzen der ehemaligen Sowjetunion operieren dürfen, wurde gestrichen. Damit hat das russische Militär in der Region im Grunde freie Hand und könnte entsprechend der jeweiligen Gefährdungslage eingesetzt werden, ohne auf historisch bedingte Einschränkungen Rücksicht nehmen zu müssen.
Viele Exilarmenier aus dem westlichen Ausland und den USA unterstützten Berg-Karabach mit Spenden, so dass der Wiederaufbau der vom Krieg zerstörten größeren Städte recht zügig voran ging. Auch eine neue 350 km lange Autostraße von Armenien zur Hauptstadt von Berg-Karabach, Stepanakert, wurde gebaut. Im Mutterland Armenien hat Berg-Karabach eine starke Lobby. Im Oktober 2012 kündigte Berg-Karabach an, den Flughafen in Chankendi (Berg-Karabach) für zivile Flüge von und nach Jerewan zu eröffnen. Die 2,1 km lange Landebahn ist seit einigen Jahren fertig. Aserbaidschan verurteilte die geplante Eröffnung des Flughafens und kündigte an, dass jedes Flugzeug, das den Flughafen anfliegt, abgeschossen wird. Diese Kontroverse folgte auf eine Zeit erneuter Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, gemeinsam mit der Minsker OSZE-Gruppe den Berg-Karabach-Konflikt friedlich zu lösen. Doch die Sensibilitäten sind in der Region ausgeprägt. Der Flughafen von Chankendi liegt in der Nähe von Xocal, einer Stadt, die für Aserbaidschan besondere Bedeutung hat. Dort sollen während des Berg-Karabach-Krieges am 25. und 26. Februar 1992 über 600 aus Berg-Karabach vertriebene aserbaidschanische Zivilisten und Soldaten von Milizen aus Berg-Karabach, armenischen Soldaten und russischen Streitkräften getötet worden sein. Die Armee von Berg-Karabach wurde noch während des Krieges mit Aserbaidschan aus Freischärlern rekrutiert. Die 20.000 Soldaten verfügten im Jahr 2012 über Panzer T-72, Raketenwerfer BM-21 und WM-80, über Sturmgewehre Ak-74, Panzerbüchsen RPG-7, zwei Erdkampfflugzeuge Su-25 und ca. 10 Hubschrauber.
Russlands Außenminister Lawrow äußerte am 5. April 2012 bei einem Besuch in Aserbaidschan: „Der Mangel an gegenseitigem Vertrauen ist eines der größten Probleme, weswegen es den Konfliktseiten bisher nicht gelungen ist, den Berg-Karabach-Konflikt beizulegen. Jeder befürchtet, dass der Andere seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Russland ist bereit, zur friedlichen Lösung des Konfliktes beizutragen." Russland kündigte aber trotz aller Ermahnungen zur friedlichen Beilegung des Konflikts an, im Falle des Versuches einer Rückeroberung Berg-Karabachs durch Aserbaidschan, Armenien beizustehen.
Auch der damalige US-Präsident Barack Obama forderte in einem Telefonat mit den Präsidenten von Aserbaidschan und Armenien, es sei an der Zeit, den Konflikt in Berg-Karabach zu regeln und den Menschen in Armenien, Aserbaidschan und Berg-Karabach Hoffnung auf eine bessere Zukunft für sie und ihre Kinder zu geben (Mitteilung des Weißen Hauses, 24. Juni 2011).
Armenien war 2012 bereit, die zusätzlich besetzten aserbaidschanischen Gebiete zurückzugeben, allerdings unter der Bedingung, dass Aserbaidschan die Unabhängigkeit von Berg-Karabach anerkennt. Armenien ist überdies zur vorbehaltlosen Aufnahme diplomatischer Beziehungen und Öffnung der Grenzen zur Türkei bereit. Die Türkei machte jedoch eine Lösung des Berg-Karabach-Konfliktes zur Bedingung für eine Normalisierung der Beziehungen und bestand darauf, dass Armenien den Vorwurf des Genozids fallen lässt sowie auf jede Form von Reparationen verzichtet.
Aserbaidschan hat sich nun – offenbar mit massiver türkischer Rückendeckung – entschieden, den schwelenden Konflikt um Berg-Karabach gewaltsam zu lösen. Doch der wieder aufgeflammte Krieg birgt die Gefahr einer direkten Konfrontation Russlands mit der Türkei und tangiert die sensible Interessenbalance beider Staaten in Syrien und in Libyen. Auch die wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit zwischen Russland und der Türkei wird durch den Krieg gefährdet. Russland hat angesichts der Situation in Kirgistan und Belorussland ein starkes Interesse, zu einer friedlichen Lösung zu kommen. Die Position der Türkei ist zwiespältig: Einerseits bietet die Kooperation mit Russland Ankara mehr außenpolitischen Spielraum im Verhältnis zu den USA und der EU, den Präsident Erdogan erweitern möchte. Insofern kann die Türkei kein Interesse haben, diesen strategischen Vorteil durch eine Konfrontation mit Russland in der Berg-Karabach-Frage aufs Spiel zu setzen. Zugleich geriert sich Ankara als Schutzmacht Aserbaidschans und würde mit einer zu kompromissbereiten Haltung den Juniorpartner in Baku verprellen. Das käme einem Gesichtsverlust gleich, den sich Präsident Erdogan mit Blick auf seine Pläne, die Türkei zu einer starken Regionalmacht zu machen, nicht leisten kann. Dass nun auch die EU versucht, sich in den Konflikt einzumischen, macht die Lage nicht übersichtlicher. Die Europäische Union sieht offenbar sowohl in dem Berg-Karabach-Konflikt als auch im Gas-Streit zwischen Griechenland und der Türkei eine Gelegenheit, die türkischen regionalen Machtambitionen zu beschneiden, ist aber zugleich in der Flüchtlingsfrage vom Wohlwollen und der Kooperationsbereitschaft Ankaras abhängig. Brüssel versucht, sich außenpolitisch zu profilieren, ohne dafür die Voraussetzungen zu haben. Die geopolitischen Hauptakteure in diesem Konflikt sind Russland und die Türkei. Von ihnen wird letztlich abhängen, ob der Konflikt friedlich beigelegt werden kann.
Quelle: Rudolph, R., Markus, U.: Renaissance einer Weltmacht. Berlin 2013
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