Covid-19: Katalysator eines geopolitischen Konflikts

Konflikt USA CHINAQuelle - Bildarchiv und Bildbearbeitung TvNVA 2020

Die im Verlauf der Covid-19-Pandemie immer stärker forcierte Kampagne der USA gegen die Volksrepublik China nimmt mitunter bizarre Formen an. Mutmaßungen, das Virus sei ein Produkt chinesischer Biowaffenforschung und/oder es sei wegen Fahrlässigkeit bei der Durchsetzung von Sicherheitsstandards in einem Labor freigesetzt worden, sind nie mit harten Fakten belegt worden. Die US-Geheimdienste waren nicht in der Lage, dafür Beweise vorzulegen. Auch der Vorwurf, die chinesischen Behörden hätten das Ausmaß der Bedrohung verschwiegen und die Partner im Westen arglistig getäuscht, entbehrt jeglicher Grundlage.

Namhafte Virologen vertreten die Auffassung, dass es sich bei dem Virus um eine natürliche Mutation handelt und alle anderen Behauptungen unbegründet sind. Das Ausrufen einer Pandemie liegt nicht in der Entscheidungskompetenz nationaler Regierungen, sondern erfolgt wie auch im aktuellen Fall durch die WHO als zuständiges UNO-Gremium. Inwieweit das gerechtfertigt war und welche Rolle dabei die 2009 vorgenommene Veränderung der Kriterien für das Ausrufen einer Pandemie eine Rolle spielt, wäre zu hinterfragen.

Die dann durch die Mitgliedstaaten beschlossenen Maßnahmen sind die Folge der WHO-Entscheidung, also keine nationalen Alleingänge. Die Regierungen waren mehr oder weniger gezwungen, die Schublade zu öffnen und die Pandemie-Pläne herauszuholen. Kein Politiker möchte mit der Schlagzeile konfrontiert werden, wie in Großbritannien und in den USA geschehen, dass Menschen sterben, weil sie zu spät gehandelt haben. Und jetzt geht es darum, das Gesicht zu wahren, die eingeleiteten Maßnahmen zu rechtfertigen und die eingetretenen und noch weiter zu erwartenden Schäden, national und global, zu minimieren.

Behauptungen, die China als Auslöser der Krise benennen, verfolgen das Ziel, von eigenem Fehlverhalten abzulenken und finanzielle Ansprüche der USA und des Westens gegenüber China zu begründen. Nun könnte man diese Angriffe als Reflex amerikanischer Innenpolitik abtun. Schließlich sind die dortigen Politiker im Wahlkampfmodus und US-Präsident Trump strebt eine zweite Amtszeit an. Doch diese Sichtweise wäre zu einfach. Die derzeitige Kampagne setzt fort, was mit der westlichen Einmischung in Hongkong und der medialen Anprangerung angeblicher Menschenrechtsverletzungen in der Provinz Xinjiang sowie mit dem Handelskrieg der USA gegen China, gegen Europa, die ganze Welt bereits im vergangenen Jahr begonnen wurde.

Die aktuell betriebene hysterische Dämonisierung der Volksrepublik und ihrer Führung hat Gründe, die sehr unterschiedlich gelagert sind: In taktischer, innenpolitischer Hinsicht geht es der Trump-Administration auch darum, von ihrem eigenen Versagen bei der Bekämpfung der Pandemie abzulenken. Diese Regierung, die dem Slogan „America first“ folgt, war nicht in der Lage und willens, ihre Bevölkerung zu schützen und angemessen medizinisch zu versorgen. Und die derzeitigen Unruhen in vielen Städten des Landes sind nicht nur ein Resultat der alltäglichen Polizeigewalt gegen Schwarze, sondern auch des strukturellen Rassismus, der sich unter anderem in der überdurchschnittlichen Betroffenheit schwarzer US-Bürger durch die Pandemie zeigt.

Das ist für die „unentbehrliche Nation“ und ihre von Selbstgerechtigkeit getränkten Eliten ein Armutszeugnis, das in der Welt durchaus Nachdenklichkeit und Zweifel an amerikanischer Omnipotenz und Vorbildfunktion laut werden lässt. Man braucht also einen Schuldigen, den man dem Wahlvolk und der internationalen Öffentlichkeit präsentieren kann, einen äußeren Feind, an dem sich die US-Exekutive machtpolitisch abarbeiten und in Szene setzen kann.

Doch entscheidend für die gezielte Eskalation des Konflikts mit China sind letztlich strategische Erwägungen. In China erwächst den Vereinigten Staaten ein wirtschaftlicher und machtpolitischer Konkurrent, der mittelfristig das Potential hat, die USA als Supermacht abzulösen. Längst ist die Volksrepublik nicht mehr nur die verlängerte Werkbank westlicher Konzerne. Das Land verfolgt eine ambitionierte Industrie- und Technologiepolitik. Auf dem 19. Parteitag der KP Chinas im Oktober 2017 wurde eine Entwicklungsstrategie formuliert, die in den westlichen Führungszirkeln durchaus Besorgnis auslöste. China will bis 2020/21 das bisher dominierende quantitative Wirtschaftswachstum durch qualitatives Wachstum ablösen. Die Armut soll beseitigt und ein bescheidener gesellschaftlicher Wohlstand erreicht werden. Im Jahr 2035 soll die Volksrepublik die weltweit stärkste Wirtschaftsmacht sein. Und bis 2049 (zum 100. Jahrestag der Staatsgründung) soll China nach dem Willen seiner Führung eine moderne Industrienation sein, die in wichtigen Zukunftstechnologien weltweite Führungspositionen erreicht hat und Standards setzt. Das Land soll dann eine führende Weltmacht sein – auf Augenhöhe mit den USA. Eine Grundlage für diese Entwicklung ist die im Jahr 2015 verabschiedete Strategie „Made in China 2025“, mit der die chinesische Partei- und Staatsführung die Richtung der Industriepolitik für die nächsten Jahre definierte. Durch eine Vielzahl von Förderprogrammen und Pilotprojekten sollen einerseits noch vorhandene technologische Rückstände in verschiedenen traditionellen Branchen der industriellen Fertigung wettgemacht werden. Viel wichtiger ist allerdings die Konzentration auf Zukunftstechnologien wie etwa Künstliche Intelligenz, Informationstechnologie, Automatisierungstechnik, Elektromobilität, Digitalisierung von Städten, Drohnentechnik, Robotik, Biomedizin und Raumfahrttechnologie. Das Land will technologische Unabhängigkeit vom Westen und Marktführerschaft in jenen Segmenten erreichen, die das industrielle Potential der Zukunft prägen werden.

Die Initiative „Neue Seidenstraße“ ist der handelspolitische Teil dieses Zukunftsprojektes, der unter anderem durch den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und chinesische Direktinvestitionen in die nationalen Ökonomien der Partnerländer einen eurasischen Wirtschaftsraum vom Pazifik bis nach Westeuropa schaffen wird, in dem die Vereinigten Staaten nicht nach Gutdünken agieren können. Und durch die strategische Partnerschaft mit Russland, das derzeit noch viel stärker als China zu militärischer Machtprojektion in der Lage ist, wird dieser Kurs abgesichert. Diese Prozesse der Herausbildung eines neuen wirtschaftlichen Epizentrums und einer neuen militärischen Allianz beunruhigen die Geostrategen in den USA erheblich. Der Aufstieg Chinas und die Unmöglichkeit, ihn wirtschaftspolitisch oder militärisch zu stoppen, führen zu Versuchen, mittels Handelskonflikten, Sanktionen, Zollerhöhungen, militärischen Provokationen und psychologischer Kriegführung die Ablösung der Vereinigten Staaten als globale Hegemonialmacht zu verhindern. Vor diesem Hintergrund wird die brüchig gewordene westliche „Wertegemeinschaft“ beschworen, um gegen den erfolgreichen Konkurrenten China Front zu machen. Die Westeuropäer sollen sich in diesem von der Trump-Administration eskalierten Konflikt auf die Seite der Vereinigten Staaten schlagen. Washington stellt die Vertrauensfrage und benutzt die Kampagnen gegen China und Russland, um seine mitunter auf Wahrung ihrer eigenen wirtschaftlichen Interessen bedachten Bündnispartner in Europa zu disziplinieren, womit zugleich zuverlässig sichergestellt ist, dass etwa die Europäische Union sich nicht zu einem zu starken und selbstbewussten Wettbewerber der USA mausert. Europäische Union und NATO sind damit Korsettstangen für die Stützung globaler amerikanischer Machtpositionen und Strategien. Denn den Konflikt mit der Volksrepublik kann sich Washington nur leisten, wenn ihm die Europäer militärpolitisch und ökonomisch den Rücken freihalten.

In diesem Zusammenhang kommt der derzeitigen wirtschaftlichen und finanzpolitischen Situation der Vereinigten Staaten besondere Bedeutung zu. Am Ende der Amtszeit von Präsident Obama hatten die USA Staatsschulden in Höhe von knapp 20 Billionen Dollar. Mittlerweile sind es 25 Billionen. Das derzeitige Wirtschaftswachstum hinkt der Erhöhung der Verschuldung hinterher. Für viele Länder haben US-Staatsanleihen daher ihre Attraktivität als Anlageform längst eingebüßt, was die Spielräume amerikanischer Haushaltspolitik tendenziell einschränkt. Und die Rolle des US-Dollars als internationale Leit- und Reservewährung, die unter den besonderen Bedingungen des Zweiten Weltkrieges festgeschrieben wurde, wird ebenfalls zunehmend infrage gestellt. So wickelt etwa China einen wachsenden Teil seiner Außenhandelsgeschäfte nicht mehr auf Dollarbasis ab. Andere Länder folgen diesem Beispiel. Der frühere US-Finanzminister Henry Paulson meinte kürzlich in einem Beitrag für das US-Magazin „Foreign Affairs“, dass die chinesische Währung Yuan auf sehr lange Sicht das größte Potential als zukünftige internationale Leit- und Reservewährung habe. Zwar sei das von verschiedenen Voraussetzungen abhängig und der Yuan noch kein realer Konkurrent zum US-Dollar. Doch allein dass eine solche Möglichkeit diskutiert wird, zeigt den enormen Druck und die Verunsicherung im US-Establishment, der mit dem Aufstieg Chinas verbunden ist. Auch Deutschlands Außenminister Heiko Maas sieht offenbar die sich andeutenden geopolitischen Verschiebungen und erklärte am 3. Juni 2020 in einer ZDF-Talksendung: „China wird die neue Supermacht".

Nicht verwunderlich ist, dass in einer solchen Situation von der derzeitigen US-Administration jede Gelegenheit wahrgenommen wird, China anzugreifen, politisch zu diskreditieren und wirtschaftlich zu schwächen. Der militärische Schulterschluss der Vereinigten Staaten mit Japan und Taiwan, die Versuche der US-Marine, im Chinesischen Meer als Ordnungsmacht aufzutreten, Operationen der US-Luftwaffe und -Marine, mit denen die militärischen Abwehrroutinen Chinas zur See und in der Luft getestet und aufgeklärt werden sollen, sind Teil der Bemühungen Washingtons, in dieser Region der Welt machtpolitisch und militärisch nicht deklassiert zu werden.

Dass dabei auch fintenreiche Ablenkmanöver und taktisch motivierte Umwege in Kauf genommen werden, zeigte sich bei der Aufkündigung des INF-Vertrages durch die USA im Jahr 2019. Dieser ursprünglich zwischen den USA und der Sowjetunion im Jahr 1987 abgeschlossene Vertrag über die Vernichtung landgestützter Raketen und Marschflugkörper kürzerer und mittlerer Reichweite (500-1.000 Km und 1.000-5.500 Km) sowie der für den Einsatz notwendigen Infrastruktur war bislang ein Eckpfeiler der Rüstungskontrolle. Mit der Begründung, dass Russland durch die Entwicklung eines neuen Marschflugkörpers diesen Vertrag verletzt habe, wurde das Vertragswerk zerstört. Doch die strategische Absicht der Entscheidungsträger in Washington wurde sehr schnell deutlich: Einerseits muss man sich nun nicht mehr an die Begrenzungen des Vertrages halten und kann diese Waffensysteme wieder in das eigene Arsenal aufnehmen, was bei einem Krieg in Osteuropa gegen Russland und in Asien gegen China für die USA militärisch vorteilhaft wäre. Zugleich forderten die Vereinigten Staaten jedoch, dass ein neuer Vertrag zum Verbot oder zur Begrenzung dieser Waffensysteme China einschließen müsse. Was als abrüstungspolitisch sinnvoller Ansatz daherkommt, liefe allerdings in der Realität auf eine massive Schwächung der militärischen Abwehrfähigkeiten Chinas hinaus. Denn die chinesische Volksbefreiungsarmee stützt sich bei der nuklearen Abschreckung vor allem auf etwa 330 Mittelstreckenraketen, wovon 30 eine Reichweite von bis zu 5.400 Kilometern haben. Außerdem fielen unter einen solchen neu auszuhandelnden Vertrag ca. 1.200 Raketen kürzerer Reichweite (bis 1.000 Kilometer). China müsste also auf seine nukleare Versicherungspolice gegen Angriffe der Vereinigten Staaten weitgehend verzichten, während letztere ihre überwiegend luft- und seegestützten Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper weiter im Bestand halten und bei Bedarf einsetzen könnten.

Das Beispiel zeigt, wie intensiv US-Strategen bemüht sind, China nicht nur durch einen Wirtschaftskrieg Schaden zuzufügen und das weitere Erstarken des Konkurrenten zu verhindern, sondern auch versuchen, dem US-Militär für einen möglichen militärischen Schlagabtausch mit der Volksrepublik Vorteile zu verschaffen. Und in diesen Rahmen ordnet sich auch die Erhöhung des Drucks auf Russland ein. Die Allianz China-Russland ist für die Vereinigten Staaten ein so starker strategischer Faktor, dass sie ihr Bedrohungsszenario um jeden Preis aufrecht erhalten und nicht einmal auf den Vorschlag Russlands eingegangen sind, für die Zeit der Pandemie auf Militärmanöver zu verzichten. Die westliche Führungsmacht wird ihre Position mit allen Mitteln verteidigen – der zynische psychologische Krieg gegen China und Russland im Schatten der Pandemie liefert nur einen Vorgeschmack auf die Mittel, die man in US-Führungszirkeln einzusetzen bereit ist, wenn der Konflikt weiter eskalieren sollte.

Quellen:

Dembinskaja, N.: Ehemaliger US-Finanzminister: Dollar als Leitwährung wackelt bedenklich. Sputniknews. 26.05.20

Escobar, P. Die Angst vor dem Osten. Rubikon. Das Magazin für die kritische Masse. 25.01.20

Heberer, T., Müller, A.: Entwicklungsstaat China. Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Berlin 2020

Rudolph, R. : Abrüstungsverträge – Sicherheit oder Illusion. Unveröffentlichtes Manuskript. Berlin 2020. S. 182

Zenglein, M.J., Holzmann, A.: Chinas industriepolitische Strategie. Eine Gefahr oder Chance für Europa?. In: WISO Direkt 07/20. Friedrich-Ebert-Stiftung. Berlin 2020

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