Australiens strategische Neuausrichtung

Frankreich ist gedemütigt. Frankreich ist enttäuscht. Frankreich ist wütend. Frankreich wurde von seinem engsten und mächtigsten NATO-Verbündeten hart in den Rücken getreten Dies ist das Leitmotiv der Veröffentlichungen führender Pariser Medien, die mit äußerster Heftigkeit den von den Amerikanern organisierten Abbruch des größten Waffengeschäfts in der Geschichte Frankreichs kommentieren.

„Heute bin ich wütend und in großer Bitterkeit. So etwas geschieht nicht zwischen Verbündeten ... Es ist eine einseitige, brutale, unvorhersehbare Entscheidung der USA, einen Verbündeten auf diese Weise zu auszuschalten. Das ist ein Stich in den Rücken“, sagte der französische Außenminister. Die französische Nachrichtenagentur Le Figaro fügt hinzu: „Zehn Jahre der Bemühungen um diese Investitionen wurden in fünf Minuten und in völliger Heuchelei weggefegt, und kein französischer Beamter war im Voraus gewarnt worden.“

Die Beleidigung von Paris ist so groß, dass beschlossen wurde, an den auf amerikanischem Boden geplanten Feierlichkeiten am 17. September 2021 zum 240. Jahrestag der Seeschlacht von Chesapeake nicht mehr teilzunehmen.

Diese entscheidende Seeschlacht fand zwischen der französischen und britischen Flotte im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg statt. Die Niederlage der Briten führte schließlich zum Frieden und zur Anerkennung der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten durch London. In diesem Jahr wurden zu diesem Anlass in Washington pompöse Feiern angesetzt. Zu Teilnahme traf im Voraus eine Raketenfregatte der französischen Marine auf dem amerikanischen Marinestützpunkt in Baltimore ein. Jetzt kehrt sie mit einem hochrangigen französischen Admiral unverrichteter Dinge über den Atlantik nach Hause zurück, berichtet die New York Times.

Die Aufregung in Paris ist heftig. Laut dem bereits 2016 zwischen Frankreich und Australien geschlossenen Abkommen wollten die Franzosen einen astronomischen Betrag von mindestens 56 Milliarden Euro verdienen. Mit diesem Geld sollte der Bau der erst kürzlich entwickelten nuklearen Mehrzweck-U-Boote der neuen Generation des Typs Barracuda (das erste, mit dem Namen Suffren, wurde 2019 auf Kiel gelegt) des Programms Naval Group-Kampagne, finanziert werden. Bis Mitte der 2040er sollte das Programm realisiert sein.

Australien sollte 12 nichtnukleare U-Boote des Typs Shortfin Barracuda Block 1A erhalten. Diese Boote werden mit einem luftunabhängigen Motor des Typs MESMA (Module d'Energie Sous-Marine Autonome) ausgestattet, der mit Ethanol und verflüssigtem Sauerstoff betrieben wird. Der Bau des ersten U-Bootes, das von den Australiern bereits den Namen „Attack“ erhielt, sollte Ende 2023 beginnen. Die Übergabe zum Testbetrieb wurde für 2031 erwartet und die Indienststellung in die australischen Marine sollte 2034 geschehen.

Für die Australier war der Deal insofern bemerkenswert, als der weitere Bau der in Frankreich entwickelten U-Boote in ihrem Land, auf den Werften in Adelaide, erfolgen sollte. Das versprach dem Land Tausende neuer Arbeitsplätze.

Und dann brach plötzlich all dies für Paris zusammen. Am 16. September erklärte der australische Premierminister Scott Morrison die Kündigung des Vertrags wegen der zu hohen Kosten für die U-Boote. Dieses Argument ist schlüssig. Ein vollwertiges atomar getriebenes Barracuda-U-Boot. für die französische Marine kostet etwas mehr als eine Milliarde pro Stück. Aber das nicht-nukleare U-Boot aus dieser Serie, mit viel bescheideneren Kampffähigkeiten für die Australier soll fast fünfmal mehr kosten? Warum?

Der australische Premierminister Morrison erklärte sofort, dass sein Land im Austausch für das gleiche Geld nun beabsichtige, nicht zwölf, sondern nur acht U-Boote zu erwerben. Aber nicht irgendwelche, sondern atomar angetriebene U-Boote. Und die Amerikaner versprachen Australien dabei zu helfen. „Der Bau von amerikanischen Atom-U-Booten im australischen Adelaide wird keines der internationalen Abkommen zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen berühren. Die Reaktoren werden mit angereichertem Uran aus dem USA in Australien ankommen und müssen während ihrer gesamten Lebensdauer nicht erneuert werden“, fügte der Premierminister hinzu.

Die Zusammenarbeit der USA mit ausländischen Kunden in einem so sensiblen Bereich wie dem Bau von atomgetriebenen Kampfschiffen ist nahezu beispiellos. „Wie Sie wissen, ist Großbritannien das einzige Land, mit dem die USA traditionell diese Art von Kernkrafttechnologie teilen. Und diese Vereinbarung geht auf das Jahr 1958 zurück. Wir fügen nun dieser Partnerschaft Australien hinzu. Dies ist eine grundlegende Entscheidung, die Australien seit Generationen stark an die USA und Großbritannien bindet“, sagte ein Sprecher der amerikanischen Administration.

Damit steht Australien kurz davor, das siebte Land der Welt zu werden, dessen Flotte mit Atom-U-Booten bewaffnet ist. Bedeutet die neue Vereinbarung, dass Canberra bald neues Mitglied des Atomclubs wird? Das soll angeblich nicht der Fall sein. Denn bisher geht es nur darum, die australischen atomar getriebenen U-Boote mit nichtatomaren, hochpräzisen Raketenwaffen auszurüsten. Es handelt sich in erster Linie um die amerikanischen Langstrecken-Marschflugkörper vom Typ Tomahawk, die aus Torpedorohren der U-Boote abgefeuert werden können. Bemerkenswert ist aber, dass die Australier sich nun entschlossen haben, nicht nur ihre Atom-U-Boote mit Tomahawks zu bewaffnen. Im Rahmen des soeben mit Washington abgeschlossenen Abkommens sollen dieselben in Kürze auch auf drei neuen australischen Zerstörern der Hobart-Klasse installiert werden. Damit können sie laut Morrison „Bodenziele mit hoher Genauigkeit auf große Entfernungen treffen“.

Darüber hinaus haben die Vereinigten Staaten zugesagt, die australische Luftwaffe mit Lockheed Martin AGM-158B JASSM-ER Marschflugkörpern (mit einer Reichweite von 900 Kilometern) und einer Charge hochpräziser Raketen der Typen Lockheed Martin PrSM, (Reichweite bis zu 400 Kilometer), auszustatten.

Schließlich wird von den Amerikanern eine Milliarde australische Dollar bereitgestellt, um in der Heimat des Kängurus ein Unternehmen zur Herstellung der fortschrittlichsten Präzisionslenkwaffen zu gründen.

Warum brauchen die Vereinigten Staaten plötzlich einen Verbündeten mit einem so beeindruckenden und hochmodernen Arsenal im Indischen und Pazifischen Ozean? Um China und Russland „zu bändigen“? Die russische Pazifikflotte, deren auffällige Schwäche einige Nachbarn dazu provoziert, Russland im Fernen Osten anzugreifen? Schließlich sind die mit den Australiern unterzeichneten Vereinbarungen über den gemeinsamen Bau von Atom-U-Booten nur ein kleiner Teil eines viel größeren und gewaltigeren Prozesses. Am 16. September gaben die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Australien die Gründung eines neuen Verteidigungsbündnisses in der asiatisch-pazifischen Region namens AUKUS (eine Abkürzung für die Namen der drei teilnehmenden Länder: Australien, Vereinigtes Königreich und Vereinigte Staaten) bekannt.

Der britische Premierminister Boris Johnson hat bereits seine Hoffnung geäußert, dass das AUKUS-Bündnis „die Länder näher als je zuvor zusammenbringen, eine neue Verteidigungspartnerschaft und Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen wird“. Aber das sind alles nur heuchlerische Worte. Atom-U-Boote wurden nirgendwo „zur Annäherung der Länder“ und für Wohlstand gebraucht. Es sind die fortschrittlichsten Kriegswaffen. Und was ganz offensichtlich ist: Australien hatte seine Streitkräfte bisher in einer regionalen Version aufgebaut. Das heißt vor allem, um den eigenen Kontinent vor Bedrohungen von außen zu schützen. Und es wurden dem Militär keine globalen Aufgaben gestellt. Nachdem sie nun beschlossen haben, ihre eigenen Atom-U-Boote zu erwerben, werden sie definitiv ihre Armee auf strategischen Kurs bringen. Denn die Partner der Australier in AUKUS-Bündnis und im asiatisch-pazifischen Raum haben die Absicht, die militärische Niederlage Chinas und Russlands vorzubereiten. Wenn Canberra sich bereit erklärt, sich dazu Washington und London anzuschließen, besteht die Gefahr, in einen großen Krieg hineingezogen zu werden. Die Amerikaner und Briten haben längst gelernt, dass Andere für sie die Kastanien aus dem Feuer holen. Für sie ist es die beste Sache, ein hastig aufgerüstetes Australien gegen die Giganten China und Russland auszuspielen.

 

(Quelle: Ischtschenko, S., Swobodnaja Pressa, 08.09.21, redaktionell überarbeitete Übersetzung)

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